Leitsatz
1. Die fehlende Besicherung einer Forderung aus Lieferbeziehungen gehört grundsätzlich zu den nicht fremdüblichen "Bedingungen" i.S. des § 1 Abs. 1 AStG. Gleiches gilt für Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk (hier: Art. 9 DBA-China 1985).
2. Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk (hier: Art. 9 DBA-China 1985) beschränkt den Korrekturbereich des § 1 Abs. 1 AStG nicht auf sog. Preisberichtigungen, sondern ermöglicht auch die Neutralisierung der gewinnmindernden Forderungsausbuchung oder ‐abschreibung (entgegen Senatsurteile vom 24. Juni 2015 – I R 29/14, BFHE 250, 386, BStBl II 2016, 258, und vom 17. Dezember 2014 – I R 23/13, BFHE 248, 170, BStBl II 2016, 261).
3. Einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG steht im Zusammenhang mit Tochtergesellschaften aus Drittstaaten das Unionsrecht nicht entgegen.
Normenkette
§ 1 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 AStG, Art. 3 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk, Art. 3 Abs. 2, Art. 9 DBA China 1985, Art. 49, Art. 63, Art. 64 Abs. 1 AEUV, Art. 43, Art. 56, Art. 57 Abs. 1 EG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine KG, hielt eine 100 %ige Beteiligung an einer chinesischen Ltd. Gegenüber dieser Gesellschaft war 2007 und 2008 eine Forderung von 2,56 Mio. EUR offen, die aus in den Jahren 2004 und 2005 erfolgten Lieferungen stammte. Die Forderung war unbesichert und unverzinslich. 2007 verzichtete die Klägerin in Höhe eines Teilbetrags gegen Besserungsschein auf die Forderung und buchte diese insoweit gewinnmindernd aus. Im Folgejahr buchte sie die Restforderung wegen anhaltender Wertlosigkeit ebenfalls aus und erklärte einen Forderungsverzicht. Das FA ließ die Wertberichtigungen dahingegen steuerlich unberücksichtigt.
Die Klage hatte hinsichtlich der Forderungsausbuchung und -abschreibung Erfolg (FG Köln, Urteil vom 17.5.2017, 9 K 1361/14, Haufe-Index 11364994, EFG 2017, 1738). Das FG folgte insoweit der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach der Einkünftekorrektur gemäß § 1 Abs. 1 AStG die sog. Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA entgegenstehe.
Entscheidung
Der BFH änderte seine Rechtsprechung zur Sperrwirkung und hob das FG-Urteil auf. Mit der ausgesprochenen Zurückverweisung wird dem FG insbesondere Gelegenheit gegeben, die fehlenden Tatsachen zur Frage der Fremdüblichkeit der Nichtbesicherung der stehengelassenen Forderung zu treffen.
Hinweis
1. Bei dem Besprechungsurteil handelt es sich – wie bei der nachfolgenden Entscheidungskommentierung zu I R 81/17 – um eine Parallelentscheidung zu dem im August-Heft veröffentlichten Grundsatzurteil des BFH zur grenzüberschreitenden Einkünftekorrektur in Konzernverhältnissen (BFH, Urteil vom 27.2.2017, I R 73/16, BFH/NV 2019, 731, BFH/PR 2019, 202). Alle wesentlichen Aussagen dieses Urteils, insbesondere die hiermit erfolgte Rechtsprechungsänderung zur sog. Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gegenüber einer Einkünftekorrektur gemäß § 1 Abs. 1 AStG, finden sich daher auch in den am selben Tag ergangenen Parallelentscheidungen.
2. Warum auch die Besprechungsentscheidung neben dem Grundsatzurteil vom BFH zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt wurde, erklärt sich mit den zwei Besonderheiten, die diese Entscheidung aufweist. Zum einen handelt es sich um einen sog. Drittstaatenfall. Die Klägerin, eine KG, war nämlich an einer chinesischen Ltd. beteiligt gewesen. Zum anderen bestand die Geschäftsbeziehung zwischen den beiden Gesellschaften nicht aus einem "klassischen" Darlehen, sondern um stehengelassene Forderungen aus früheren Liefergeschäften.
3. Der BFH stellt hinsichtlich dieser beiden Besonderheiten klar, dass die im Grundsatzurteil aufgestellten (geänderten) Rechtsprechungsgrundsätze zum einen auch auf Tochtergesellschaften in Drittstaaten Anwendung finden. Das Unionsrecht steht dem nicht entgegen. Denn die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit, auf die sich Drittstaatengesellschaften im Unterschied zur Niederlassungsfreiheit grundsätzlich berufen können, hindert die Einkünftekorrektur gemäß § 1 Abs. 1 AStG schon deshalb nicht, weil die sog. Standstill-Klausel (jetzt Art. 64 Abs. 1 AEUV) eingreift. Die Vorschrift des § 1 Abs. 1 AStG hat zum insoweit maßgeblichen Stichtag 31.12.1993 bereits existiert und ist in ihrem Kern seitdem unverändert geblieben.
Zum anderen wendet der BFH die zu "klassischen" Darlehensgewährungen entwickelten Grundsätze wegen der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit auch auf stehengelassene Forderungen aus Lieferungen und Leistungen an (vgl. BFH, Beschluss vom 15.5.2018, I B 114/17, BFH/NV 2018, 1092). Auch diesbezüglich kann also eine unbesicherte Forderung, die später ausfällt und zu einer Abschreibung führt, eine steuerliche Neutralisierung der Abschreibung gemäß § 1 Abs. 1 AStG auslösen, wenn ein fremder Dritter als Gläubiger von Anfang an oder ggf. später eine Besicherung seiner Forderung verlangt hätte.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 27.2.2019 – I R 51/17