Leitsatz
1. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass ein Direktzugriff auf das steuerliche Einlagekonto, d.h. dessen Minderung vor Auskehrung der ausschüttbaren Gewinne nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 i.d.F. des SEStEG, auch dann nicht in Betracht kommt, wenn die Leistung der Kapitalgesellschaft auf die Auflösung von Kapitalrücklagen zurückgeht (Bestätigung der Rechtsprechung).
2. Ebenfalls ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach § 27 Abs. 5 Satz 3 KStG 2002 i.d.F. des SEStEG die Berichtigung oder erstmalige Erteilung einer Steuerbescheinigung ausgeschlossen ist, wenn entweder die Minderung des Eigenkapitals zu niedrig bescheinigt oder eine Steuerbescheinigung bis zur Bekanntgabe der erstmaligen Feststellung des steuerlichen Einlagekontos nicht erteilt worden ist (§ 27 Abs. 5 Sätze 1 und 2 KStG 2002 i.d.F. des SEStEG). Die (fehlerhafte) Steuerbescheinigung ist deshalb der Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zugrunde zu legen.
Normenkette
§ 27 Abs. 1 Sätze 3 und 5, Abs. 3 und 5 KStG 2002 i.d.F. des SEStEG, Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG, Art. 56 (= AEUV Art. 63) EG, Art. 17 EUGrdRCh
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine GmbH. Zum 31.12.2008 belief sich das ihr gegenüber nach § 27 Abs. 2 KStG festgestellte steuerliche Einlagekonto (freie Kapitalrücklage) auf 25.565 EUR und ihr nach § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG ausschüttbarer Gewinn auf 8.001 EUR. Obgleich die Gesellschafterversammlung am 27.11.2009 beschlossen hatte, dass "die Kapitalrücklage … aufgelöst und … an den alleinigen Gesellschafter V zurückgezahlt" wird, hat die Klägerin am 29.7.2010 auf amtlichem Vordruck gegenüber dem FA erklärt, ihr Einlagekonto zum 31.12.2009 in unveränderter Höhe (25.565 EUR) festzustellen. Letzterem wurde mit Bescheid vom 9.9.2010 entsprochen. Der Bescheid steht – ebenso wie der am selben Tag ergangene KSt-Bescheid 2009 – unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Mit Schreiben vom 30.11.2010 hat die Klägerin beantragt, den Feststellungsbescheid nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO dahin zu ändern, dass ihr Einlagekonto auf 0 EUR festgestellt wird. Dem Antrag ist eine an V erteilte Steuerbescheinigung beigefügt, die erst nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheids vom 9.9.2010 erstellt wurde und in der Leistungen aus dem steuerlichen Einlagekonto i.H.v. 25.564 EUR ausgewiesen wurden. Der Änderungsantrag wurde vom FA mit Bescheid vom 27.12.2010 abgelehnt. Da die Klägerin – trotz vorheriger Aufforderung – weder KapESt einbehalten noch abgeführt hatte, wurde sie zudem nach § 44 Abs. 5 EStG i.V.m. § 191 AO als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen.
Die anschließend gegen diese Bescheide erhobene Klage blieb ohne Erfolg (Schleswig-Holsteinisches FG vom 28.11.2013, 1 K 35/12, Haufe-Index 6474362, EFG 2014, 581).
Entscheidung
Auch die anschließende Revision war erfolglos. Dem Antrag der Klägerin, das steuerliche Einlagekonto zum 31.12.2009 auf 0 EUR festzustellen, sei nicht zu entsprechen, auch der Erlass des Haftungsbescheids sei nicht zu beanstanden. Die Klägerin müsse sich anlasten lassen, dass die Bestände des Einlagekontos "falsch" festgestellt worden seien. Einer fehlenden oder unrichtigen Steuerbescheinigung komme diesbezüglich für die Kapitalgesellschaft ebenso wie für den Anteilseigner materielle Präklusionswirkung zu.
Hinweis
Durch das Urteil wird im Grunde nichts Neues bekundet. Im Kern rekurriert der BFH auf vorhandene (und jüngere) Spruchpraxis und verstetigt diese:
1. In seinem Urteil vom 30.1.2013, I R 35/11 (BStBl II 2013, 560, BFH/NV 2013, 1195, BFH/PR 2013, 279) hat der BFH entschieden, dass die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos ungeachtet unterjähriger Zugänge zum steuerlichen Einlagekonto auf den zum Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahres festgestellten positiven Bestand des Kontos begrenzt ist. Ein direkter Zugriff auf das Einlagekonto ist ausgeschlossen. Er wird durch die vorangegangene Feststellung der Bestände des Kontos versperrt.
Grund dafür ist, dass es sich bei dem steuerlichen Einlagekonto um eine reine Rechengröße handelt. Das Konto weist deshalb ohne Bindung an das Handelsrecht die nicht in das Nennkapital geleisteten Einlagen aus und dient im Falle der Vermögensauskehrung, d.h. der durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Leistungen i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F., der Identifizierung der beim Gesellschafter nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht steuerpflichtigen Einlagenrückgewähr sowie deren Separierung von den nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG grundsätzlich steuerpflichtigen Kapitalerträgen.
Daran hält der BFH nun uneingeschränkt fest. Es bleibt also dabei: Der direkte Zugriff auf das Einlagekonto ist ausgeschlossen.
Verfassungs- oder Unionsrechtsbedenken dagegen erachtet der BFH als unbegründet.
2. Sodann bestätigt der BFH jene Aussage, die er bereits in seinem Urteil vom 19.5.2010, I R 51/09 (BStBl II 2014, 937, BFH/NV 2010, 1886, BFH/PR 2010, 435) getroffen hat:
a) Nach § 27 Abs. 3 KStG hat eine Kapitalgesellschaft im Falle von Abgängen aus dem steuerlich...