Leitsatz
1. § 55 Abs. 4 InsO in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes vom 09.12.2010 (BGBl I 2010, 1885, 1893) erfasste auch Energiesteuerverbindlichkeiten.
2. Verbindlichkeiten werden nach § 55 Abs. 4 InsO nur im Rahmen der für den vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse begründet (Fortführung BFH-Urteil vom 24.09.2014 – V R 48/13 (BFHE 247, 460, BStBl II 2015, 506).
3. Energiesteuerverbindlichkeiten können nur dann Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO darstellen, wenn sie aus sog. Neugeschäften entstehen, weshalb durch bereits bei Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters bestehende Lieferverträge ("Altgeschäfte") keine Masseverbindlichkeiten begründet werden können.
Normenkette
§ 55 Abs. 4 InsO, § 251 Abs. 3 AO, § 21, § 22, § 38, § 38 EnergieStG
Sachverhalt
Streitig ist, ob die während des Insolvenzeröffnungsverfahrens entstandene EnergieSt eine Masseverbindlichkeit darstellt.
Die Schuldnerin versorgte ihre Kunden mit Energieerzeugnissen. Sie hatte sich durch langfristige Lieferverträge gebunden, ohne sich durch entsprechende Deckungsgeschäfte gegen einen Anstieg des Einkaufspreises abzusichern. Als die Einkaufspreise nennenswert anstiegen, erwirtschaftete sie Verluste und geriet in Zahlungsrückstand.
Das AG bestellte am 9.7.2018 den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete an, dass Verfügungen der Schuldnerin über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit seiner Zustimmung wirksam sein würden (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 InsO). Es traf folgende weiteren Anordnungen:
Den Drittschuldnern wurde verboten, an die Schuldnerin zu zahlen. Der Kläger wurde ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen. Die Drittschuldner wurden aufgefordert, nur noch unter Beachtung dieser Anordnung zu leisten (§ 23 Abs. 1 Satz 3 InsO).
Der Kläger bemühte sich zunächst und letztlich erfolglos, eine Auffanglösung zu finden. Die Schuldnerin stellte die Belieferung ihrer Kunden am 18.7.2018 ein.
Das AG eröffnete am 1.10.2018 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.
Das HZA setzte letztlich für die im Zeitraum von der Bestellung des Klägers zum vorläufigen Insolvenzverwalter bis zur Einstellung der Lieferungen gelieferte Energieerzeugnismenge EnergieSt gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin fest. Zur Begründung führte es aus, es handele sich um Masseverbindlichkeiten.
Die Klage war erfolglos. Das FG urteilte, die EnergieSt-Verbindlichkeit stelle eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO a.F. dar (FG Düsseldorf, Urteil vom 5.8.2020, 4 K 2524/19 VE, Haufe-Index 14809017, EFG 2021, 2078).
Entscheidung
Der BFH hob auf die Revision des Klägers das FG-Urteil auf und gab seiner Klage statt.
Hinweis
Die Energiesteuer kann nicht durch Verwaltungsakt gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter geltend gemacht werden, wenn es sich nicht um eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 4 InsO a.F., sondern um eine Insolvenzforderung i.S.v. § 38 InsO handelt. Nach § 55 Abs. 4 InsO a.F. gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit.
1. Im Streitfall war die alte Fassung des § 55 Abs. 4 InsO einschlägig. Durch die Verwendung des Wortes "Steuerschuldverhältnis" verweist die Norm auf § 37 Abs. 1 AO und gilt deshalb für sämtliche Steuerarten. Die neue Fassung des § 55 Abs. 4 InsO (Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts, BGBl I 2020, 3256) erwähnt ausdrücklich USt-Verbindlichkeiten und stellt diesen sonstige Ein- und Ausfuhrabgaben, bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern, die LuftVSt und die KfZSt und die LSt gleich. Hintergrund dieser Änderung war die Auffassung des Gesetzgebers, dass es sich bei der USt um die praktisch bedeutsamste Steuer handele.
2. Eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO kommt nur in Betracht, wenn diese Verbindlichkeit nach Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden ist. Das richtet sich nach den Grundsätzen, die für die Abgrenzung der Insolvenzforderungen nach § 38 InsO gelten, weil beide Normen auf das Begründetsein abstellen. Entscheidend ist mithin, wann der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist. Der Rechtsgrund für einen Steueranspruch ist gelegt, wenn der gesetzliche (Besteuerungs‐)Tatbestand verwirklicht wird.
Für den EnergieSt-Anspruch kommt es somit nicht darauf an, wann der Energieliefervertrag abgeschlossen oder die EnergieSt festgesetzt wurde, sondern allein darauf, wann der Versorger oder die Kunden die Energieerzeugnisse zum Verbrauch aus dem Leitungsnetz entnommen haben (§ 38 Abs. 1 EnergieStG).
3. Im Streitfall ging es im Kern um die Frage, wann eine Zustimmung des vor...