Leitsatz
1. Entsteht eine Einfuhrzollschuld gem. Art. 203 Abs. 1 VO Nr. 2913/92, wenn eine in der vorübergehenden Verwahrung befindliche Ware weisungswidrig nicht der ursprünglichen Zollbehörde, sondern einer anderen Zollbehörde vorgeführt wird, ohne zu dem für die Beförderung vorgeschriebenen gemeinschaftlichen Versandverfahren abgefertigt worden zu sein?
2. Für den Fall, dass die vorstehende Frage verneint wird: Liegt in dem in Frage 1 geschilderten Fall eine Pflichtverletzung vor, die gem. Art. 204 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 2913/92 zur Entstehung einer Einfuhrzollschuld führen kann?
3. Für den Fall, dass die Frage zu 2 bejaht wird:
a) Ist Art. 859 Nr. 5 VO Nr. 2454/93 dahin auszulegen, dass er nur einen nicht bewilligten Ortswechsel meint, der von der Zollstelle hätte bewilligt werden können, oder ist darunter jeder beliebige Ortswechsel zu verstehen?
b) Ist Art. 859 Nr. 5 VO Nr. 2454/93 dahin auszulegen, dass die darin festgelegte Voraussetzung, dass die in der vorübergehenden Verwahrung befindliche Ware den Zollbehörden auf Verlangen vorgeführt werden kann, nur dann erfüllt, wenn die Ware der Zollstelle wieder vorgeführt wird, der sie ursprünglich gestellt worden ist, oder ist die Voraussetzung auch dann erfüllt, wenn die Ware einer anderen Zollstelle in derselben Stadt, die aber organisatorisch zu einer anderen Zollbehörde gehört, wieder vorgeführt wird?
Normenkette
Art. 4 Nr. 20 VO Nr. 2913/92 , Art. 37 VO Nr. 2913/92 , Art. 48 Abs. 1 VO Nr. 2913/92 , Art. 50 VO Nr. 2913/92 , Art. 51 Abs. 1 VO Nr. 2913/92 , Art. 73 Abs. 1 Satz 1 VO Nr. 2913/92 , Art. 203 Abs. 1 und 3 VO Nr. 2913/92 , Art. 204 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3 VO Nr. 2913/92 , Art. 201 Abs. 1 Satz 1 VO Nr. 2454/93 , Art. 859 Nr. 5 VO Nr. 2454/93 , § 21 Abs. 2 Satz 1 UStG
Sachverhalt
Eine Spedition importierte aus China Waren und meldete sie bei der Zollstelle Industriehafen summarisch an. Die Waren wurden ihm zur vorübergehenden Verwahrung (Art. 50 ZK) überlassen, weil sie später zum Versandverfahren abgefertigt werden sollten. Statt sie zur Versandabfertigung der Zollstelle Industriehafen vorzuführen, wurden die Waren jedoch direkt an die am gleichen Ort ansässige Empfängerfirma ausgeliefert und von dieser bei der Zollstelle Neustädter Hafen zur Abfertigung zum freien Verkehr angemeldet. Diese Abfertigung erfolgte auch. Gleichwohl wurden von der Spedition Einfuhrabgaben erhoben, weil diese nach Art. 204 ZK Abgabeschuldnerin dadurch geworden sei, dass sie nicht ihre Pflicht erfüllt habe, die Waren vor Entfernung von dem Ort der vorübergehenden Verwahrung einer zollrechtlichen Bestimmung (Art. 48 ZK) zuzuführen, z.B. ein Versandverfahren zu eröffnen.
Entscheidung
Der BFH hat dem EuGH eine Reihe von Fragen zur Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des ZK vorgelegt (siehe Leitsätze). Er geht davon aus, dass die Spedition die Waren der Zollstelle Industriehafen hätte vorführen müssen, damit sie ihr von dieser zur Beförderung in dem (bereits bei der ersten Anmeldung beantragten) Versandverfahren überlassen werden. Da die Spedition dies nicht getan habe, hätten die Waren während der Beförderung vom Ort der vorübergehenden Verwahrung bis zur Empfängerfirma nicht unter zollamtlicher Überwachung gestanden. Das hervorzuheben erscheint im Streitfall angesichts der räumlichen Nähe von Verwahrungsort und Empfängerfirma vielleicht beinahe allzu penibel, erlangt aber augenfällige Bedeutung, wenn man sich vorstellt, der Lieferort liege in einer anderen Stadt oder sogar in einem anderen Mitgliedstaat!
Der BFH hält es für möglich, in diesem Verhalten der Spedition ein Entziehen der Ware aus der zollamtlichen Überwachung zu sehen (Rechtsfolge: Abgabenschuldentstehung nach Art. 203 Abs. 1 ZK). Er hält es ebenso für möglich, in dem Verhalten eine schlichte Pflichtverletzung i.S.d. Art. 204 Abs. 1 ZK zu sehen. Das hätte zwar ebenfalls grundsätzlich die Folge des Entstehens einer Einfuhrabgabeschuld zulasten der Spedition, mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Schuld unter den Voraussetzungen des Art. 859 ZKDVO nicht entstünde.
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, erscheint dem BFH freilich ebenfalls zweifelhaft, so dass er den EuGH (vorsorglich) auch dazu befragt hat.
Hinweis
1. Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG ermöglicht den nationalen Gerichten, sich in Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts der Unterstützung des EuGH zu bedienen, d.h. diesen um verbindliche Rechtssätze zu ersuchen, welche die betreffende Gemeinschaftsvorschrift konkretisieren bzw. erläutern. Je nachdem, wie präzise die Frage vom nationalen Gericht formuliert wird, besteht die Aussicht auf eine präzise, für die Entscheidung des Rechtsstreits hilfreiche, oftmals diese praktisch vorwegnehmende Antwort des EuGH.
2. Unterscheiden Sie aber solche Auslegungsfragen von Fragen der Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf den Einzelfall, die dem EuGH nicht gestellt werden können (auch wenn sie mitunter als Auslegungsfragen kaschiert gestellt werden).
3. Sie können das nationale Gericht zu ei...