Leitsatz
Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der, um die es im Ausgangsverfahren geht, nicht entgegensteht, die im Fall der Überführung von Wirtschaftsgütern einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft in eine Betriebsstätte dieser Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat vorsieht, dass die mit diesen Wirtschaftsgütern verbundenen, in diesem ersten Mitgliedstaat gebildeten stillen Reserven aufgedeckt und besteuert werden und die Steuer auf diese stillen Reserven auf zehn Jahre gestaffelt erhoben wird.
Normenkette
§ 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4, § 4g Abs. 1 EStG, Art. 49 AEUV
Sachverhalt
Klägerin ist die inländische Verder LabTec GmbH & Co. KG, deren Unternehmensgegenstand die Verwaltung eigener Patent-, Marken- und Gebrauchsmusterrechte ist. Mit Vertrag vom 25.5.2005 übertrug sie diese Rechte auf ihre Betriebsstätte in den Niederlanden.
Das FA vertrat die Ansicht, mit Überführung dieser Rechte müsse unter Aufdeckung der damit verbundenen stillen Reserven mit dem Fremdvergleichswert im Zeitpunkt der Überführung erfolgen. Allerdings sollten diese stillen Reserven, deren Wert nicht bestritten wurde, nicht sofort in voller Höhe der Besteuerung unterliegen. Aus Billigkeitsgründen sei der Betrag der stillen Reserven durch einen Merkposten in gleicher Höhe zu neutralisieren und linear über einen Zeitraum von zehn Jahren gewinnerhöhend aufzulösen.
Auf die dagegen erhobene Klage hat das FG den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens angerufen. Tatbestandlich und zeitlich sei im Streitfall zwar der neugeschaffene § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG anwendbar, der eine fünfjährige Staffelung vorsehe; auf die zuvor nur auf den sog. Betriebsstättenerlass des BMF vom 24.12.1999 (BStBl I 1999, 1076) gestützte Besteuerung (und die darin billigkeitsweise gewährte 10-jährige Staffelung) komme es insoweit nicht mehr an. So oder so und ob fünf oder zehn Jahre verstoße eine gestaffelte Erhebung der Entstrickungsteuer aber gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit (FG Düsseldorf, Beschluss vom 5.12.2013, 8 K 3664/11 F, Haufe-Index 6428463, EFG 2014, 119).
Entscheidung
Der EuGH ist dem nicht gefolgt. Er hält die gestaffelte Erhebung der Steuer, die auf die stillen Reserven der ins Ausland überführten Wirtschaftsgüter entfällt, für verhältnismäßig und für unionsrechtskonform.
Hinweis
1. Der neuerlichen Entscheidung des EuGH zur sog. Entstrickungsbesteuerung hätte es nicht bedurft, "wusste" man doch schon alles, was der EuGH dazu zu sagen hat(te). Spätestens seit dessen Urteil vom 23.1.2014, C-164/12DMC Beteiligungsgesellschaft mbH (BFH/NV 2014, 478; nachgehend FG Hamburg, Urteil vom 15.4.2015, 2 K 66/14, LStR 2015, 521, Haufe-Index 7942661), stand nämlich fest:
"Eine Regelung eines Mitgliedstaats, nach der in seinem Hoheitsgebiet entstandene nicht realisierte Wertzuwächse sofort besteuert werden, geht nicht über das hinaus, was erforderlich ist, um das Ziel der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu erreichen, sofern für den Fall, dass der Steuerpflichtige eine Stundung wählt, die Obliegenheit zur Stellung einer Banksicherheit nach Maßgabe des tatsächlichen Risikos der Nichteinbringung der Steuer auferlegt wird."
Anders gewendet: Der Wegzugsstaat darf erstens eine Entstrickungsteuer festsetzen und er darf zweitens diese Steuer dann auch "stante pede" erheben. Er muss nicht zuwarten, bis das entstrickte Wirtschaftsgut irgendwann tatsächlich veräußert wird und die damit verbundenen stillen Reserven tatsächlich aufgedeckt werden. Gesteht er dem wegziehenden Steuerpflichtigen jedoch eine Stundung der Entstrickungsteuer zu, dann darf er Sicherheiten verlangen, ihn also schlechter behandeln als einen anderen Steuerpflichtigen, der im Inland umzieht und Wirtschaftsgüter verlagert.
2. Das FG Düsseldorf ließ sich davon indessen nicht beirren und hielt an seiner diesbezüglichen Vorlage an den EuGH fest:
"Ist es mit der Niederlassungsfreiheit des Art. 49 AEUV vereinbar, wenn für den Fall der Übertragung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen auf eine ausländische Betriebsstätte desselben Unternehmens eine nationale Regelung bestimmt, dass eine Entnahme für betriebsfremde Zwecke vorliegt mit der Folge, dass es durch Aufdeckung stiller Reserven zu einem Entnahmegewinn kommt, und eine weitere nationale Regelung die Möglichkeit eröffnet, den Entnahmegewinn gleichmäßig auf fünf oder zehn Wirtschaftsjahre zu verteilen?"
Das alles zielt auf die Entstrickungsteuer in § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG und auf die dazu in § 4g Abs. 1 EStG enthaltene Fünftelungsregelung ab. Und nun wissen wir es nochmals schwarz auf weiß: Das beschriebene Verhalten des Wegzugsstaats, die Entstrickungsteuer in "schonenden" Teilmengen zu erheben, ist unionsrechtmäßig im Allgemeinen und verhältnismäßig im Besonderen. Das alles ist "im grünen Bereich".
3. Die Entscheidungsstringenz, die der EuGH damit verfolgt, mag man aus Beratersicht bedauern und aus Behördensicht hochle...