Leitsatz

Macht die Familienkasse einen Rückforderungsanspruch auf Kindergeld im Haftungswege gegen die Erben des Kindergeldberechtigten geltend und haben diese ihren jeweiligen Wohnsitz in unterschiedlichen Finanzgerichtsbezirken, sodass für die Klagen der Erben gegen die Haftungsbescheide gemäß § 38 Abs. 2a FGO unterschiedliche Gerichte zuständig sind, kann der BFH auf Antrag unter entsprechender Anwendung von § 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO ein Gericht als das zuständige FG bestimmen.

 

Normenkette

§ 39 Abs. 1 Nr. 5, § 38 Abs. 2a FGO, § 45 AO, § 426, § 1967, § 2058 BGB

 

Sachverhalt

Die Antragsteller sind Geschwister und Kinder des verstorbenen A. Die Familienkasse nahm die Antragsteller jeweils mit Haftungsbescheid wegen einer Forderung gegen den verstorbenen Vater in Haftung. Zur Begründung führte sie aus, die Antragsteller seien Erben und hafteten deshalb nach § 1967 BGB für die Nachlassverbindlichkeiten. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren haben die Antragsteller vor dem FG Klage erhoben, in dessen Bezirk die Familienkasse ihren Sitz hatte.

Das FG wies sie darauf hin, dass nach § 38 Abs. 2a FGO in Angelegenheiten des Familienleistungsausgleichs, zu denen auch das Erhebungsverfahren in Bezug auf Kindergeldrückforderungsansprüche gehöre, das FG zuständig sei, in dessen Bezirk der Kläger seinen Wohnsitz habe. Nach den Angaben in der Klageschrift wohnten die Antragsteller in unterschiedlichen Finanzgerichtsbezirken. Es sei daher beabsichtigt, die Verfahren zu trennen und an das jeweils zuständige Gericht zu verweisen.

Daraufhin haben die Antragsteller beim BFH beantragt, zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen sowie aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit gemäß § 39 FGO ein für die vorliegende Klage örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen.

 

Entscheidung

Der BFH hat im Streitfall § 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO entsprechend angewandt und als zuständiges FG das Gericht bestimmt, in dessen Bezirk die Familienkasse ihren Sitz hat.

 

Hinweis

1. Nach § 39 Abs. 1 FGO wird in bestimmten – abschließend geregelten – Fällen das zuständige FG vom BFH bestimmt. Diese Vorschrift dient der Wahrung eines lückenlosen Rechtsschutzes, indem sie gewährleistet, dass jedenfalls ein Gericht für die Kontrolle des in die Rechtssphäre eines Steuerpflichtigen eingreifenden Verwaltungshandelns zuständig ist (BFH, Beschluss vom 22.2.2007, VI S 11/06, BFH/NV 2007, 1162).

2. Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO wird das zuständige FG durch den BFH bestimmt, wenn eine örtliche Zuständigkeit nach § 38 FGO nicht gegeben ist. In einem solchen Fall kann gemäß § 39 Abs. 2 Satz 1 FGO jeder am Rechtsstreit Beteiligte und jedes mit dem Rechtsstreit befasste FG den BFH anrufen.

3. Nach § 38 Abs. 2a Satz 1 FGO ist in Kindergeldsachen regelmäßig das FG zuständig, in dessen Bezirk der Kläger seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Erfasst werden auch Streitigkeiten über die Erhebung und Vollstreckung von Kindergeldforderungen sowie Streitigkeiten über die Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers i.S.v. § 45 AO. Anlass für diese Neuregelung (BGBl I 2013, 829) war die Neuorganisation der Familienkassen, bei der die bisher 102 Standorte an nur noch 14 Standorten zusammengefasst wurden. Dadurch sollten auch zugunsten der rechtsuchenden Bürger eine Verlängerung der Verfahrensdauer und lange Anfahrtswege vermieden werden (vgl. BT-Drucks. 17/12535, 4).

4. Die Besonderheit im Streitfall: Stirbt der Kindergeldberechtigte und werden mehrere Erben im Zuge einer Rückforderung von Kindergeld als Gesamtrechtsnachfolger i.S.v. § 45 AO in Haftung genommen, kann die Sonderregelung des § 38 Abs. 2a FGO zu einer nach Ansicht des BFH vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Aufspaltung der Zuständigkeit für den an sich einheitlich zu entscheidenden Rechtsstreits führen.

5. Dem tritt der BFH entgegen, indem er § 39 Abs. 1 Nr. 5 FGO entsprechend anwendet. Zwar war der BFH in der Vergangenheit wiederholt davon ausgegangen, dass § 39 FGO abschließend sei. Dies könne jedoch nicht in Bezug auf die erst 2013 geschaffene Sonderregelung in § 38 Abs. 2a FGO gelten, soweit diese – wie im Streitfall – zu einer Zuständigkeit mehrerer FG führt.

Diese Entscheidung ist auch praxisgerecht: Denn hätte der Vater der Antragsteller selbst noch gegen den Rückforderungsbescheid geklagt und wäre er nach Klageerhebung verstorben, so wären die Erben als Gesamtrechtsnachfolger im Wege des gesetzlichen Beteiligtenwechsels in den bereits anhängigen Rechtsstreit eingetreten. In diesem Fall hätte sich an der auf § 38 Abs. 2a FGO gegründeten örtlichen Zuständigkeit des angerufenen FG nichts geändert.

6. Hinsichtlich der Frage, welches FG in einem Fall wie dem vorliegenden zuständig sein soll, griff der BFH auf die Grundregel des § 38 Abs. 1 FGO zurück. Zuständig ist danach das FG des Bezirks, in dem die Familienkasse ihren Sitz hat.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 11.2.2021 – VII S 3/21

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge