Leitsatz
Das niederländische Erbschaftsteuerrecht verstößt gegen EU-Gemeinschaftsrecht (Kapitalverkehrsfreiheit), da es Erbfall-Verbindlichkeiten aus niederländischem Erbvermögen gegenüber anderen Miterben nicht zum Steuerabzug zulässt, wenn der Erblasser in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässig war.
Sachverhalt
Streitig war der Steuerabzug von Verbindlichkeiten aus einer Mehrzuteilung aufgrund testamentarischer Nachlassaufteilungen im Zusammenhang mit dem Tod des Ehemanns der Klägerin am 8.11.1998. Der Verstorbene wohnte zum Zeitpunkt seines Todes seit mehr als zehn Jahren nicht mehr in den Niederlanden, sondern in Italien. Der Erblasser hatte per Testament sein Vermögen zu gleichen Teilen auf seine Ehefrau (die Klägerin) und den gemeinsamen vier Kindern aufgeteilt. Zum Nachlass gehörte u.a. auch ein Grundstück in den Niederlanden. Das niederländische Erbrecht sah hierzu vor, dass der gesamte Nachlass mit allen Aktiva und Passiva dem hinterbliebenen Ehegatten - der Klägerin - zufällt. Nach Maßgabe des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs wurde der Nachlass schließlich auch der Klägerin im vollen Umfang zugerechnet. Aus der vom Testament abweichenden gesetzlichen Zurechnung ergab sich für die Klägerin die Verpflichtung, ihren Kindern einen Betrag in Höhe des Werts ihrer jeweiligen Erbanteile in bar auszuzahlen. Daraus entstanden der Klägerin gegenüber jedem ihrer Kinder finanzielle Verpflichtungen.
Die niederländischen Steuerbehörden ignorierten die Ausgleichszahlungsverpflichtungen der Klägerin gegenüber ihren Kindern und rechneten dieser das in den Niederlanden belegene Grundstück im vollen Umfang steuerlich zu. Die Klägerin wurde schließlich aufgefordert, auf Grundlage des vollen Grundstückswerts eine Vermögensübergangsteuer zu entrichten, während von den Kindern der Klägerin keine Vermögensübergangsteuer eingefordert wurde.
Entscheidung
Der EuGH gab der Klage statt und sprach sich gegen die betreffenden niederländischen Besteuerungsregelungen aus. Begründung: Art. 73b i. V. mit Art. 73d EG-Vertrag (Kapitalverkehrsfreiheit) sei jedenfalls dahingehend auszulegen, "dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, die die Berechnung der Erbschaft- und der Vermögensübergangsteuer für ein in diesem Mitgliedstaat belegenes Grundstück betrifft und bei der Berechnung dieser Steuern nicht die Möglichkeit vorsieht, die aus einer Mehrzuteilung infolge der testamentarischen Nachlassaufteilung der Eltern resultierenden Verbindlichkeiten abzuziehen, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes nicht in dem Staat wohnhaft war, in dem dieses Grundstück belegen ist, sondern in einem anderen Mitgliedstaat".
Erben einer zum Zeitpunkt ihres Todes gebietsansässigen Person und Erben einer zu diesem Zeitpunkt gebietsfremden Person können nach Ansicht des Gerichts nicht unterschiedlich behandelt werden. Das niederländische Erbschaftsteuerrecht war insoweit geeignet, eine Diskriminierung zu schaffen, da diesbezügliche Verbindlichkeiten bei der Berechnung der Erbschaftsteuer sehr wohl berücksichtigt werden, wenn der Erblasser seinen Wohnsitz in den Niederlanden hatte.
Hinweis
Deutsche Erben niederländischer Immobilienvermögen müssen in gleichgelagerten Fällen unter Berufung auf dieses EuGH-Urteil von den niederländischen Steuerbehörden zu viel gezahlte Steuern zurückfordern. Dies gilt umso mehr, als zwischen Deutschland und den Niederlanden kein Erbschaftsteuer-Doppelbesteuerungsabkommen besteht und solche Erwerbe der "doppelten" Besteuerung unterliegen. Eine Anrechnung zu viel gezahlter niederländischer Steuer auf die deutsche Erbschaftsteuer nach Maßgabe des § 21 ErbStG erfolgt jedenfalls nicht. Denn anrechenbar ist nur jene Steuer, die "keinem Ermäßigungsanspruch" unterliegt. Werden zu viel gezahlte Steuern nicht zurückgefordert, dürfte die deutsche Steuerverwaltung einer Anrechnung der gesamten gezahlten Steuern auf die deutsche Erbschaftsteuer nicht zustimmen. Das Urteil findet selbstverständlich auch auf jene Erbfälle Anwendung, die sich in anderen EU-Staaten ereignen.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 11.09.2008, C-43/07