Leitsatz
1. Ein Berichtigungsbescheid nach § 129 AO, durch den ein in verjährter Zeit ergangener, unter einer offenbaren Unrichtigkeit leidender GewSt-Messbescheid korrigiert werden soll, kann jedenfalls dann nicht mehr erlassen werden, wenn seit Bekanntgabe des fehlerhaften Bescheids ein Jahr vergangen ist (§ 171 Abs. 2 AO).
2. Ist die Festsetzungsfrist für einen Aufhebungsbescheid bereits abgelaufen, so scheidet eine Korrektur nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AO auch mit Zustimmung des Steuerpflichtigen aus.
3. Eine Änderung einander widersprechender Steuerfestsetzungen, die sich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken (§ 174 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AO), ist nur möglich, wenn der Steuerpflichtige selbst, allein oder überwiegend, die unzutreffende mehrfache Berücksichtigung des Sachverhalts verursacht hat.
Normenkette
§ 125, § 129, § 169 Abs. 1 S. 1 und 2, § 171 Abs. 2, § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 174 Abs. 1 und Abs. 2, § 184 Abs. 1 S. 1 AO, § 242 BGB, § 94 Abs. 1 Nr. 2 RAO, § 2 Abs. 1 RealStG NW
Sachverhalt
Der Kläger war Inhaber zweier Betriebe mit unterschiedlichen Steuernummern. In einem finanzgerichtlichen Erörterungstermin kam es zu einer tatsächlichen Verständigung, wonach der GewSt-Messbetrag 1990 für den Betrieb B zu mindern gewesen wäre. Bei der Umsetzung der Verständigung verwechselte das FA die beiden Betriebe und verminderte stattdessen den Messbetrag für den Betrieb A. Der Bescheid ging dem Klägervertreter im September 2003 zu, worauf dieser den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärte.
Nachdem das FA die Verwechslung bemerkt hatte, erließ es im April 2005 einen nach § 129 AO berichtigten Bescheid, mit dem der GewSt-Messbetrag 1990 für den Betrieb A wieder auf den ursprünglichen Betrag heraufgesetzt wurde. Zugleich verminderte es den Messbetrag für den Betrieb B.
Die Klage gegen den berichtigten Bescheid blieb ohne Erfolg, da das FG annahm, der Kläger sei aus Treu und Glauben verpflichtet gewesen, an der Umsetzung der tatsächlichen Verständigung mitzuwirken (FG Düsseldorf, Urteil vom 16.05.2007, 9 K 3554/06 G, Haufe-Index 2037360).
Entscheidung
Der BFH widersprach dem FG und gab der Klage statt.
Hinweis
1. Steuer- und Messbescheide dürfen nach Ablauf der Festsetzungsfrist weder geändert noch wegen offenbarer Unrichtigkeit berichtigt werden. Wenn das FA trotz Verjährung einen Bescheid erlässt, ist dieser aber nicht nichtig, sondern lediglich rechtswidrig und muss daher angefochten werden, wenn er sich zulasten des Steuerpflichtigen auswirkt.
2. Im Streitfall hatte das FA aufgrund einer Verwechslung den "falschen" Bescheid für ein bereits verjährtes Jahr zugunsten des Steuerpflichtigen geändert und den Fehler erst zwanzig Monate später berichtigt. Nach dem auf Widerspruch gestoßenen BFH-Urteil vom 14.06.1991, III R 64/89 (Haufe-Index 63568, BStBl II 1992, 52) kann ein offenbar unrichtiger Bescheid auch dann nach § 129 AO berichtigt werden, wenn er nach Ablauf der Verjährung ergangen war. Ob er an dieser Entscheidung festhält, hat der BFH – wie schon im Urteil vom 09.11.1994, XI R 12/94 (BFH/NV 1995, 563) – offen gelassen, denn die Berichtigung ist jedenfalls nach Ablauf der Jahresfrist des § 171 Abs. 2 AO ausgeschlossen.
3. Steuerpflichtige können unter besonderen Umständen aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet sein, einem Änderungs- oder Aufhebungsbescheid zuzustimmen. Die Zustimmung wirkt aber nur bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung.
4. Sobald das FA seine Verwechslung entdeckt und daraufhin den "richtigen" Bescheid ändert, liegen widerstreitende Steuerfestsetzungen vor, da ein bestimmter Sachverhalt nun in mehreren Bescheiden zugunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt wird. Das FA kann den fehlerhaften Bescheid dann trotz Festsetzungsverjährung und ohne Antrag des Steuerpflichtigen bis zum Ablauf eines Jahres aufheben oder ändern, nachdem der letzte der betroffenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden ist. Die Änderung setzt aber voraus, dass die doppelte Berücksichtigung des Sachverhalts allein oder überwiegend durch den Steuerpflichtigen verursacht wurde. Beruht der fehlerhafte Bescheid dagegen auf einem Versehen des FA, so ist eine Änderung nach § 174 AO ausgeschlossen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 03.03.2011 – III R 45/08