Dr. Gerlind Wendt, Michael Wendt
Leitsatz
Hebt das FA im Einspruchsverfahren einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geänderten Bescheid auf, kann es später einen erneuten Änderungsbescheid wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen erlassen. Hatte der Steuerpflichtige bei Erlass des aufgehobenen Änderungsbescheids seinen Mitwirkungspflichten genügt, stehen die Grundsätze von Treu und Glauben aber einer Berücksichtigung solcher Tatsachen entgegen, die das FA bei Erlass des ersten (aufgehobenen) Änderungsbescheids unter Verletzung seiner Ermittlungspflicht nicht berücksichtigt hatte.
Normenkette
§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO , § 242 BGB
Sachverhalt
Bei einem Gastwirt wurde eine Steuerfahndungsprüfung durchgeführt, weil aufgefallen war, dass er unter einem zweiten Namen Wareneinkäufe bei einem Großhändler getätigt hatte. Bereits am Tag nach Beginn der Prüfung teilten die Prüfer dem Veranlagungs-FA vorläufige Besteuerungsgrundlagen mit, die auf der Berechnung eines Mehrumsatzes aus den Schwarzeinkäufen mit einem Rohgewinnaufschlagsatz von 150 % beruhten. Zugleich wiesen die Prüfer darauf hin, dass sich bei der weiteren Prüfung voraussichtlich ein höherer Aufschlagsatz ergeben würde.
Das FA nahm diese Information zum Anlass, die Bescheide über Gewinnfeststellung und Gewerbesteuer-Messbetrag für die Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen neuer Tatsachen zu ändern. Eine Begründung enthielten die Bescheide nicht. Der Gastwirt erhob Einspruch.
Nach einiger Zeit erhielt das FA einen Zwischenbericht von der Steuerfahndung, aus dem sich höhere Umsätze und Gewinne ergaben. Das FA teilte dem Gastwirt daraufhin unter Beifügung des Zwischenberichts mit, die angefochtenen Bescheide würden wegen fehlender Begründung und Anhörung aus formellen Gründen aufgehoben; erneute Änderungsbescheide würden nach Abschluss der Prüfung ergehen.
Bei Abschluss der Prüfung kamen die Prüfer zu einem Rohgewinnaufschlagsatz von 203 %. Das FA erließ auf dieser Grundlage neue Änderungsbescheide. Nach erfolglosem Einspruch verständigten sich Gastwirt und FA im Klageverfahren auf einen Aufschlagsatz von 180 %. Allerdings verlangte der Gastwirt in erster Linie die vollständige Aufhebung der Änderungsbescheide, weil die Voraussetzungen des § 173 AO nicht erfüllt seien.
Entscheidung
Weder FG noch BFH gaben dem Hauptanliegen des Gastwirts statt. Die wirklichen Mehrumsätze und -erlöse seien dem FA nachträglich bekannt geworden. Bei Erlass der ursprünglichen Bescheide habe das FA davon noch keine Kenntnis gehabt. Die gesamte Höhe der Umsätze und Erlöse sei auch bei Erlass der ersten Änderungsbescheide nicht bekannt gewesen. Auf die weitergehenden Kenntnisse im Zeitpunkt der Aufhebung der ersten Änderungsbescheide sei nicht abzustellen. Zwar müsse das FA bei Erlass eines Änderungsbescheids alle ihm bekannten Tatsachen berücksichtigen. Ein Aufhebungsbescheid sei in diesem Sinn jedoch kein Änderungsbescheid. Seine Wirkung beschränke sich nur auf die Beseitigung des aufgehobenen Bescheids.
An einer Verwertung der nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen sei das FA nicht nach Treu und Glauben wegen einer Ermittlungspflichtverletzung bei Erlass des ersten Änderungsbescheids gehindert. Denn selbst wenn das FA seine Ermittlungspflichten damals verletzt haben sollte, könne sich der Gastwirt nicht darauf berufen, weil er seine wirklichen Umsätze und Gewinne bis dahin nicht offen gelegt und damit seine Mitwirkungspflichten verletzt habe.
Hinweis
Der Besprechungsfall betrifft die Frage, ob das FA im Lauf einer Außenprüfung, insbesondere bei einer Steuerfahndungsprüfung, in einer Art "Salamitaktik"dem Prüfungsstand entsprechende Änderungsbescheide erlassen kann. Bei lange andauenden Prüfungen kann das FA ein Interesse daran haben, schon frühzeitig Teile der insgesamt geschuldeten Mehrsteuern festzusetzen und zu erheben.
Die Möglichkeit zum Erlass solcher Bescheide besteht natürlich dann, wenn die Erstveranlagung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erfolgt ist. Bis zum Abschluss der Prüfung können weitere Bescheide nach § 164 Abs. 2 AO ergehen. Anders verhält es sich aber, wenn vorbehaltlos veranlagt worden ist. Eine Änderung des Bescheids zu Lasten des Steuerpflichtigen ist dann immer davon abhängig, dass die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (nachträglich bekannt gewordene steuererhöhende Tatsachen) vorliegen.
Der BFH macht im hiesigen Urteil die Zulässigkeit von Teil-Änderungsbescheiden davon abhängig, ob der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten voll nachgekommen ist. Ist dies der Fall, muss das FA alle aus seiner Amtsermittlungspflicht folgenden Ermittlungen abschließen, bevor es einen Änderungsbescheid wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen erlässt.
Hat der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten jedoch verletzt, können auch Teil-Änderungsbescheide ergehen. Bei Steuerfahndungsprüfungen wird häufig davon auszugehen sein, dass der Geprüfte seine Mitwirkungspflichten, insbesondere die Pflicht zur Erklärung aller Einnahmen, nicht erfüllt hat. Er kann dann das FA nur dadurch zum ...