Dipl.-Finw. (FH) Helmut Lehr
Leitsatz
Verstößt es gegen den Grundsatz der Wettbewerbsneutralität, wenn der ermäßigte Steuersatz für Zirkusvorführungen und Schausteller (§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG) Freizeitparks vorenthalten bleibt?
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt in Deutschland einen der bekanntesten europäischen Freizeitparks. Für das Streitjahr 2014 machte sie geltend, dass ihre Umsätze aus Eintrittsberechtigungen gem. § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d UStG ermäßigt zu besteuern seien. Es verstoße gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass die Finanzverwaltung und die Rechtsprechung in Deutschland die Umsätze ortsungebundener Schausteller anlässlich von saisonal und zeitlich begrenzten Jahrmärkten im Gegensatz zu den Umsätzen der ortsgebundenen Schaustellerunternehmen in Gestalt von Freizeitparks ermäßigt besteuerten. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück und berief sich auf die langjährige Rechtsprechung des BFH.
Entscheidung
Gemäß Art. 98 Abs. 2 MwStSystRL i. V. m. Anhang III Nr. 7 MwStSystRL können die Mitgliedstaaten Eintrittsberechtigungen u. a. für Jahrmärkte, Vergnügungsparks und ähnliche kulturelle Einrichtungen bzw. Ereignisse ermäßigt besteuern. Der EuGH muss jedoch beantworten, ob die erfolgte Benennung von Jahrmärkten und Vergnügungsparks im Sinne einer Differenzierung für eine Besteuerung eines Freizeitparks zum Regelsteuersatz herangezogen werden kann, obwohl die Bezeichnung "Vergnügungspark" sowohl ortsgebundene als auch ortsungebundene Schaustellerunternehmen umfasst. Dabei wird auch zu entscheiden sein, ob es sich um gleichartige Leistungen handelt. Da gemäß der EuGH-Rechtsprechung die "Sicht des Durchschnittsverbrauchers" ein wesentliches Element des Grundsatzes der Neutralität der Umsatzsteuer darstellt, ist ggf. zu klären, ob diese einer Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten zugänglich ist.
Hinweis
Aufgrund der ständigen Rechtsprechung des BFH, zuletzt bestätigt durch BFH, Urteil v. 2.8.2018, V R VI/16, schien die Rechtslage in Deutschland eigentlich klar zu sein. Danach konnten Freizeitparks den ermäßigten Steuersatz nicht beanspruchen. Der BFH sah auch keine Veranlassung, den EuGH anzurufen und um "Hilfestellung" bei der Auslegung des Unionsrechts zu bitten. Deshalb kam der Vorlagebeschluss des FG Köln vergleichsweise überraschend.
Zwischenzeitlich liegt bereits die Entscheidung des EuGH vor, EuGH, Urteil v. 9.9.2021, C-406/20 (Phantasialand). Danach ist Art. 98 MwStSystRL i. V. m. Anhang III Nr. 7 MwStSystRL dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der die Leistungen von ortsungebundenen Schaustellern einerseits und ortsgebundenen Schaustellerunternehmen in Gestalt von Freizeitparks andererseits unterschiedlichen Steuersätzen unterliegen, sofern der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird. Außerdem verbietet es das Unionsrecht nicht, dass das vorlegende Gericht bei Schwierigkeiten in der Beurteilung insoweit nach Maßgabe des nationalen Rechts ein Sachverständigengutachten einholt.
Das bedeutet: Die bislang in Deutschland geübte Praxis, dass Freizeitparks ihre Eintrittsgelder mit 19 % Umsatzsteuer belegen müssen, ist nicht zwangsläufig unionsrechtswidrig. Das FG Köln muss nun entscheiden, ob es sich bei den Leistungen von Freizeitparks einerseits und Leistungen der ortsungebundenen Schausteller andererseits um gleichartige Leistungen handelt. Sollte dies nicht der Fall sein, hätte die Klage keinen Erfolg. Anders ausgedrückt: Sollte die Prüfung ergeben, dass Schaustellerleistungen in ortsfesten Vergnügungsparks gegenüber solchen auf mobilen Jahrmärkten wesentlich unterschiedliche Bedürfnisse der Durchschnittsverbraucher befriedigen, können diese Leistungen mit einem unterschiedlichen Umsatzsteuersatz belegt werden. Bei dieser Beurteilung können/müssen eine ganze Reihe von Merkmalen/Umfeldbedingungen berücksichtigt werden.
Mit der Entscheidung des EuGH geht das Verfahren also in die nächste Runde. Sollte die bisherige Rechtslage bzw. Verwaltungsauffassung in Deutschland verworfen werden, könnte natürlich der Gesetzgeber zur Tat schreiten und eine Regelung treffen, die den Regelsteuersatz für Freizeitparks vorsieht. Unionsrechtlich dürfte dies zumindest nicht ausgeschlossen sein.
Link zur Entscheidung
FG Köln, Beschluss v. 25.08.2020, 8 K 1092/17