Leitsatz
1. Für die Finanzierung des Trägers einer Wissenschafts- und Forschungseinrichtung i.S. von § 68 Nr. 9 AO kommt es auf den Mitteltransfer an, der ihm ohne eigene Gegenleistung zufließt.
2. Zum Zweckbetrieb nach § 68 Nr. 9 AO gehören nur notwendige Nebentätigkeiten zur Eigen- und Grundlagenforschung.
Normenkette
§ 68 Nr. 9 AO, § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG, Art. 12 Abs. 3 Buchst. a 6. EG-RL (= EWGRL 388/77)
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine Hochschule in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Mit Vertrag vom 15.2.2001 verpflichtete sich die Klägerin in einem Werkvertrag zur Durchführung und Erstellung einer wissenschaftlichen Studie. Auftraggeber waren mehrere Verbände gesetzlicher Krankenkassen. In der Folgezeit wurden mehrere Ergänzungsvereinbarungen abgeschlossen. Für die Erstellung der Studie beauftragte die Klägerin auch Unterauftragnehmer. Das FA ging von Leistungen aus, die dem Regelsteuersatz unterliegen. Einspruch und Klage zum FG (FG Münster, Urteil vom 13.3.2018, 5 K 3156/16 U, Haufe-Index 11808708, EFG 2018, 1315) hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil der Vorinstanz auf und verwies die Sache an das FG zurück, da es zu den von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten keine Feststellungen getroffen hatte.
Hinweis
1. Die Steuersatzermäßigung für gemeinnützige Körperschaften entspricht nicht dem Unionsrecht. So ermäßigt sich z.B. nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Sätze 1 und 2 UStG i.V.m. § 64 Abs. 1 AO und § 68 Nr. 9 AO die Steuer für "Wissenschafts‐ und Forschungseinrichtungen, deren Träger sich überwiegend aus Zuwendungen der öffentlichen Hand oder Dritter oder aus der Vermögensverwaltung finanziert. Der Wissenschaft und Forschung dient auch die Auftragsforschung. Nicht zum Zweckbetrieb gehören Tätigkeiten, die sich auf die Anwendung gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse beschränken, die Übernahme von Projektträgerschaften sowie wirtschaftliche Tätigkeiten ohne Forschungsbezug".
Unionsrechtlich ist es demgegenüber nur zulässig, eine Steuersatzermäßigung für die "Lieferung von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit" anzuwenden (EuGH, Urteil vom 17.6.2010, C‐492/08, Kommission/Frankreich,BFH/NV 2010, 1594, EU:C:2010:348, Rz. 43). Dies führt nach der BFH-Rechtsprechung zu einer einschränkenden Auslegung der Begriffe, die eine Steuersatzermäßigung über den unionsrechtlich zulässigen Rahmen hinaus ermöglichen.
2. Im Hinblick auf die Finanzierungsvoraussetzungen in § 68 Nr. 9 AO sind "Zuwendungen der öffentlichen Hand" bei jeglichem Mitteltransfer zu bejahen, der der Körperschaft ohne eigene Gegenleistung zufließt. Dies trifft selbst bei einer engen Auslegung auf die öffentliche Haushaltsfinanzierung von staatlichen Hochschulen zu.
3. Sind die Finanzierungsvoraussetzungen zu bejahen, stellt sich die weitergehende Frage, welche Art von Leistungen durch § 68 Nr. 9 AO umsatzsteuerrechtlich begünstigt werden können. Leistungen durch Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen beruhen dem Charakter derartiger Einrichtungen entsprechend auf wissenschaftlichen und forschenden Tätigkeiten. Worum es sich dabei handeln muss, kann auch aus der amtlichen Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 13/4839, S. 89) abgeleitet werden. Angestrebt wurde danach eine Begünstigung der Forschungseinrichtungen, bei denen der Tätigkeitsschwerpunkt im Bereich der Eigen- oder Grundlagenforschung liegt. Dementsprechend ist Auftragsforschung nur als für den Transfer von Forschungsergebnissen notwendige Nebentätigkeit in die Steuervergünstigung einbezogen.
Hieraus leitet der BFH im Hinblick auf die gebotene enge Auslegung ab, dass die Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Sätze 1 und 2 UStG i.V.m. § 64 Abs. 1 AO und § 68 Nr. 9 AO nur die Leistungen erfasst, die auf einer Eigen- und Grundlagenforschung beruhen und die notwendige Nebentätigkeit zu dieser sind. Erbringt der Zweckbetrieb seine Leistungen durch Subunternehmer, kann ein derartiger Nebentätigkeitscharakter zu verneinen sein.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 26.9.2019 – V R 16/18