Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Erlässt das Finanzamt vor Ablauf der Einspruchsfrist eine (Teil-)Einspruchsentscheidung, ist ein nochmaliger Einspruch gegen die Steuerfestsetzung nicht statthaft, auch wenn er innerhalb der noch währenden Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 AO) eingelegt worden ist.
Normenkette
§ 40 Abs. 1, § 44 Abs. 2, § 47 Abs. 2, § 63 ff. FGO, § 367 Abs. 2, § 355 Abs. 1, § 348 Nr. 1, § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO, Art. 19 Abs. 4 GG
Sachverhalt
K erklärte u.a. Fahrtkosten. Die berücksichtigte das FA im ESt-Bescheid vom 4.6.2012 aber nur zu 80 %. Mit Einspruch vom 4.6.2012, dem FA am 5.6.2012 zugegangen, wandte sich K gegen die Kürzung der nach § 33 EStG abgezogenen Krankheitskosten um die zumutbare Belastung. Daraufhin wies das FA mit Teileinspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 2a AO) vom 21.6.2012 den Einspruch zurück, soweit er nicht die Verfassungsmäßigkeit der Kürzung der außergewöhnlichen Belastung betraf, und stellte im Übrigen das Einspruchsverfahren ruhend. Noch in der Einspruchsfrist, am 6.7.2012, legte K gegen den ESt-Bescheid vom 4.6.2012 erneut – zunächst ohne Begründung – Einspruch ein, den er am 3.9.2012 damit begründete, dass die Fahrtkosten insgesamt berücksichtigt werden müssten. Mit Einspruchsentscheidung vom 15.11.2012 verwarf das FA den (erneuten) Einspruch als unzulässig. Die Klage blieb erfolglos (FG Düsseldorf, Urteil vom 5.6.2013, 15 K 4597/12 E, Haufe-Index 6528189, EFG 2014, 621).
Entscheidung
Der BFH bestätigte, wie unter den Praxis-Hinweisen erläutert, die Vorinstanz.
Hinweis
1. Verfahrensrechtlicher Ausgangspunkt ist der nach § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO statthafte Einspruch, der das Einspruchsverfahren eröffnet. Dieses endet allerdings mit der Einspruchsentscheidung. Gegen die Einspruchsentscheidung ist ein weiterer Einspruch nicht mehr statthaft (§ 348 Nr. 1 AO). Rechtsschutz gibt es hier nur durch Klage (§§ 40 ff. FGO). K wandte aber ein, dass sich sein (zweiter) Einspruch nicht gegen die Einspruchsentscheidung, sondern gegen den ESt-Bescheid gerichtet hatte, dessen Einspruchsfrist noch nicht abgelaufen war. Unbestritten liegen mit Abschluss des Einspruchsverfahrens zwei Verwaltungsakte vor, nämlich der ursprüngliche Verwaltungsakt (hier: ESt-Bescheid vom 4.6.2012) und die (Teil-)Einspruchsentscheidung vom 21.6.2012. Denn die Einspruchsentscheidung ist mit ihrem eigenständigen materiell-rechtlichen Regelungsgehalt ein selbstständiger Verwaltungsakt. Was spricht also dagegen, innerhalb der offenen Einspruchsfrist weitere Einsprüche gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt einzulegen, auch wenn die Einspruchsentscheidung ergangen ist? Der Umstand, dass der ursprüngliche Verwaltungsakt und die Einspruchsentscheidung nicht völlig unabhängig voneinander bestehen. Der BFH spricht insoweit von Rechtsverbund und Verfahrenseinheit. Deshalb spricht auch § 44 Abs. 2 FGO vom ursprünglichen Verwaltungsakt "in der Gestalt", also mit dem Inhalt der Einspruchsentscheidung. Damit existiert kein Ausgangsbescheid in der ursprünglichen Gestalt mehr, der nun erneut Gegenstand eines Einspruchsverfahrens sein könnte. Deshalb ist die isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung nur ausnahmsweise möglich, nämlich wenn die Beschwer allein in ihr liegt.
2. Nach diesen Grundsätzen hat die Einspruchsentscheidung das Einspruchsverfahren abgeschlossen. Selbst wenn eine Einspruchsentscheidung innerhalb der Einspruchsfrist rechtswidrig wäre (denn tatsächlich wird so die Einspruchsfrist verkürzt – hier vom BFH offengelassen), ist diese (vermeintliche) Rechtswidrigkeit jedenfalls in einem Klageverfahren geltend zu machen; der Einspruch ist dagegen nicht mehr geöffnet. § 47 Abs. 2 FGO konnte im Streitfall auch nicht helfen. Danach kann zwar auch beim FA eine Klage angebracht werden. Der zweite Einspruch konnte aber angesichts des klaren Wortlauts des fachkundig vertretenen K selbst bei rechtsschutzgewährender Auslegung (Art. 19 Abs. 4 GG) so nicht verstanden werden. Auch dessen Auslegung als Antrag auf schlichte Änderung des streitigen ESt-Bescheids nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO schied aus. Denn dazu ist jedenfalls grob das verfolgte Änderungsbegehren innerhalb der Einspruchs- oder Klagefrist darzulegen. Daran fehlte es hier, denn die Begründung erfolgte erst am 3.9.2012.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.09.2014, VI R 80/13