Rz. 16

IFRS 1.13 untersagt in folgenden Fällen die retrospektive Anwendung von IFRS-Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden:

  • Ausbuchung finanzieller Vermögenswerte und finanzieller Schulden,
  • Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen (Hedge Accounting),
  • Vornahme von Schätzungen,
  • Darstellung und Bewertung von Anteilen nicht beherrschender Gesellschafter,
  • Klassifizierung und Bewertung finanzieller Vermögenswerte nach IFRS 9,
  • Wertminderung finanzieller Vermögenswerte nach IFRS 9,
  • Trennung eingebetteter Derivate vom Basisvertrag,
  • Bilanzierung von staatlichen Darlehen mit einer unter dem Marktzinsniveau liegenden Verzinsung sowie
  • Versicherungsverträge nach IFRS 17.

Der Grund für die Verbote liegt in der sonst (bei retrospektiver Anwendung) möglichen Neueinschätzung eines Bilanzierungssachverhalts; hierdurch könnte mit einem späteren Wissensstand eine "vorteilhaftere" Bilanzierung erreicht werden.[1]

 

Rz. 17

Ausbuchung finanzieller Vermögenswerte und finanzieller Schulden

Für nicht derivative finanzielle Vermögenswerte und Schulden können die Ausbuchungsregeln des IFRS 9 prospektiv ab dem Zeitpunkt des Übergangs zu IFRS[2] angewendet werden.[3] Das bedeutet, dass vor dem Zeitpunkt des Übergangs zu IFRS im vorherigen landesrechtlichen Abschluss ausgebuchte Finanzinstrumente nicht nach den IFRS-Regelungen anzusetzen sind, sofern sie nicht aufgrund einer späteren Transaktion oder eines späteren Ereignisses ansatzpflichtig werden.[4] Damit können beispielsweise finanzielle Vermögenswerte beim Factoring oder bei Pensionsgeschäften, die nach HGB ausgebucht sind, ausgebucht bleiben, obwohl sie nach den Regeln des IFRS 9 eigentlich hätten bilanziert werden müssen.[5]

 

Rz. 18

Allerdings kann gem. IFRS 1.13 i. V. m. IFRS 1.Appendix B 3 das die IFRS-Eröffnungsbilanz aufstellende Unternehmen auch wahlweise ab einem beliebigen in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt die Ausbuchungsregeln des IFRS 9 freiwillig anwenden, sofern das Unternehmen über die hierfür erforderlichen Informationen zum seinerzeitigen Zeitpunkt verfügt.

 

Rz. 19

Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen (Hedge Accounting)

In der IFRS-Eröffnungsbilanz sind alle Derivate zum beizulegenden Zeitwert anzusetzen.[6] Entsprechend dürfen gem. HGB abgegrenzte Gewinne oder abgegrenzte Verluste aus derivativen Finanzinstrumenten (z. B. Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften) nicht als Vermögenswerte bzw. Schulden in die IFRS-Eröffnungsbilanz übernommen werden.[7] Daraus ergibt sich für das Hedge Accounting eine ausschließlich prospektive Anwendungspflicht.[8] Der IASB hat gegen eine retrospektive Anwendung der Regeln für das Hedge Accounting plädiert, da es nach Auffassung des IASB unwahrscheinlich ist, dass die Kriterien für das Vorliegen einer Hedge-Beziehung seit Beginn der Sicherungsbeziehung dokumentiert sind.[9] Darüber hinaus könnte eine retrospektive Anwendung der Regeln des Hedge Accounting zu einer selektiven Identifikation von Hedge-Beziehungen, verbunden mit Verzerrungen in der IFRS-Eröffnungsbilanz, führen.[10]

 

Rz. 20

Die nach den vorherigen Rechnungslegungsvorschriften bilanzierten Sicherungsbeziehungen i. S. e. Hedge Accounting dürfen jedoch dann in der IFRS-Eröffnungsbilanz beibehalten werden, wenn sie seit der Ersteinbuchung auch die Voraussetzungen des IFRS 9 (bzw. IAS 39) erfüllen.[11] Auf die (nach Landesrecht gebildeten) Sicherungszusammenhänge, die nicht zugleich die Voraussetzungen des IFRS 9 (bzw. IAS 39) erfüllen, dürfen die Bilanzierungsvorschriften des IFRS 9 (bzw. IAS 39) nicht angewendet werden und sie dürfen nicht in die IFRS-Eröffnungsbilanz übernommen werden. Diese nur nach Landesrecht zulässigen Sicherungszusammenhänge sind unter Anwendung von IFRS 9. Kap. 6.5.6 und 6.5.7 (bzw. IAS 39.91 und 39.101) zu beenden.[12] Eine Ausnahme besteht hingegen, falls ein Unternehmen nach den bislang angewandten Rechnungslegungsgrundsätzen eine Nettoposition als gesichertes Grundgeschäft designiert hatte (z. B. im Rahmen eines "Macro-Hedge"); in diesem Falle dürfen einzelne hierin enthaltene Geschäfte als gesichertes Grundgeschäft oder die Nettoposition als gesichertes Grundgeschäft in die IFRS-Eröffnungsbilanz übernommen werden. Allerdings müssen im letztgenannten Fall alle übrigen Voraussetzungen zur Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen nach IFRS 9. Kapitel 6.6.1 vorliegen.[13]

 

Rz. 21

Vornahme von Schätzungen

Soweit die Rechnungslegung auf Prognosen basiert, müssen die Prognosen, die zur Erstellung der IFRS-Eröffnungsbilanz verwendet werden, mit den Prognosen zur Erstellung der zu diesem Stichtag (noch) aufzustellenden landesrechtlichen – Rechnungslegungsvorschriften entsprechenden – Bilanz vereinbar sein.[14] Eine bessere spätere Erkenntnis über die zu einem bestimmten Zeitpunkt zu bilanzierenden Vermögenswerte und Schulden darf keine Auswirkung auf die IFRS-Eröffnungsbilanz haben.[15] Abweichungen oder Inkonsistenzen zwischen den Schätzungen bei Erstellung der IFRS-Eröffnungsbilanz und der seinerzeitigen Aufstellung der nach landesrechtliche...

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