Leitsatz
Hat ein Sozialleistungsträger wegen der Leistungen nach dem SGB II, die er dem Kind eines Kindergeldberechtigten gewährt hat, keinen Anspruch auf Erstattung von Kindergeld, weil das Kind in einem eigenen Haushalt lebt und das Kindergeld an das Kind weder abgezweigt noch weitergeleitet worden ist, so besteht dennoch ein Erstattungsanspruch, wenn der kindergeldberechtigte Elternteil ebenfalls Sozialleistungen nach dem SGB II bezieht.
Normenkette
§ 74 Abs. 2 EStG, §§ 103, 104, 107 Abs. 1 SGB X
Sachverhalt
Der Kläger bezog vom (beigeladenen) Jobcenter von August 2008 bis Januar 2009 monatlich ca. 1.400 EUR zur Sicherung des Lebensunterhalts für sich und die zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Ehefrau sowie Tochter. Der 1989 geborene Sohn (S) lebte in einer eigenen Wohnung und erhielt ebenfalls Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II. Bei der Berechnung der Leistungen setzte das Jobcenter den Anspruch auf Kindergeld für S nicht als Einkommen des Klägers an.
Die Familienkasse gewährte dem Kläger im Januar 2009 Kindergeld für S ab August 2008 und stellte wegen eines vom Jobcenter geltend gemachten Erstattungsanspruchs fest, dass der Kindergeldanspruch des Klägers für August 2008 bis Januar 2009 erfüllt sei.
Das FG hat den Erstattungsanspruch des Beigeladenen verneint und den Abrechnungsbescheid aufgehoben (FG Köln, Urteil vom 24.3.2011, 15 K 1055/09, Haufe-Index 2670869, EFG 2011, 1147).
Entscheidung
Die von der Familienkasse und dem Beigeladenen eingelegten Revisionen waren erfolgreich und führten zur Abweisung der Klage, da die an den Kläger für seine Bedarfsgemeinschaft ausgezahlten Sozialleistungen und sein Anspruch auf Kindergeld für S die Voraussetzungen der Gleichartigkeit und des Verhältnisses von Vor- und Nachrangigkeit erfüllten, also gegenüber dem von ihm bezogenen Kindergeld nachrangig waren.
Hinweis
1. Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ist nach § 104 Abs. 1 SGB X der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat. Der Erstattungsanspruch setzt eine Gleichartigkeit der Leistungen hinsichtlich des Zeitraums, für den sie bestimmt sind, der Leistungsart und der Zweckbestimmung voraus.
2. Wegen seiner nachrangigen Verpflichtung kann ein Sozialleistungsträger, der Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung nach dem SGB II erbracht hat, die Erstattung des Kindergelds beanspruchen, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung des Kindergeldanspruchs nicht hätte leisten müssen. Dies setzt voraus, dass das Kindergeld aus sozialrechtlicher Sicht als Einkommen des Empfängers oder anderer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auf den Sozialleistungsanspruch anzurechnen gewesen wäre.
3. Kindergeld mindert grundsätzlich den Sozialleistungsanspruch des Kindergeldberechtigten. Für diese sozialrechtliche Zurechnung ist unerheblich, dass es durch die seit 2008 geltende Fassung des § 1612b BGB zur Deckung seines Barbedarfs des Kindes zu verwenden ist, also zivilrechtlich dem Einkommen des Kindes zugewiesen wird.
4. Anders verhält es sich dagegen, wenn das durch Sozialleistungen nach dem SGB II unterstützte Kind im eigenen Haushalt lebt und das Kindergeld durch Abzweigung oder Weiterleitung erhält. In diesem Falle mindert das Kindergeld als sozialrechtliches Einkommen des Kindes dessen Sozialleistungsanspruch. Gegenüber den Sozialleistungen des Kindergeldberechtigten fehlt es dann am Verhältnis von Gleichartigkeit und Nachrangigkeit.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.11.2012 – III R 24/11