Leitsatz
1. Bei einem befristeten Beschäftigungsverhältnis kommt eine unbefristete Zuordnung i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative EStG zu einer ersten Tätigkeitsstätte nicht in Betracht.
2. War der Arbeitnehmer im Rahmen eines befristeten Arbeits- oder Dienstverhältnisses bereits einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet und wird er im weiteren Verlauf einer anderen Tätigkeitsstätte zugeordnet, erfolgt diese zweite Zuordnung nicht mehr gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG für die Dauer des Dienstverhältnisses.
3. Wird ein befristetes Beschäftigungsverhältnis vor Ablauf der Befristung schriftlich durch bloßes Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts bei ansonsten unverändertem Vertragsinhalt verlängert, liegt ein einheitliches befristetes Beschäftigungsverhältnis vor. Für die Frage, ob eine Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses erfolgt, ist daher auf das einheitliche Beschäftigungsverhältnis und nicht lediglich auf den Zeitraum der Verlängerung abzustellen.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1, Abs. 4 Sätze 1 bis 3 EStG
Sachverhalt
Der Kläger war seit Mai 2012 bei der A GmbH in X als Helfer beschäftigt. Die GmbH verfügt über eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung gemäß § 1 AÜG. Das Leiharbeitsverhältnis war zunächst bis zum 30.11.2012 befristet. Jeweils mit Ablauf der Befristung erfolgte eine Verlängerung des Leiharbeitsverhältnisses.
Bis zum 30.10.2012 war der Kläger bei der B AG in Y eingesetzt. Auf schriftliche Weisung des Leiharbeitgebers war er anschließend für die B AG in X – und dort in verschiedenen Arbeitsbereichen zum Abbau von Arbeitsspitzen – tätig. Im Streitjahr (2014) wurde der Kläger ausschließlich als Helfer bei der B AG in X eingesetzt.
Mit der Einkommensteuererklärung 2014 beantragte der Kläger die Berücksichtigung der Fahrtkosten zur B AG in X als Reisekosten im Rahmen einer Auswärtstätigkeit mit 0,30 EUR je gefahrenen Kilometer. Das FA berücksichtigte die Fahrtkosten jedoch lediglich im Rahmen der Entfernungspauschale. Er ging davon aus, dass keine Auswärtstätigkeit vorliege, weil der Kläger dem Entleihbetrieb in X dauerhaft zugeordnet gewesen sei. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das FG gab der im Anschluss erhobenen Klage statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 30.11.2016, 9 K 130/16, Haufe-Index 10332530, EFG 2017, 202).
Entscheidung
Die Revision des FA hat der BFH aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 4 EStG sind lediglich i.H.d. Entfernungspauschale als Werbungskosten anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG).
2. Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Der durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.2.2013 (BGBl I 2013, 285) neu eingeführte und in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG definierte Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" tritt an die Stelle des bisherigen unbestimmten Rechtsbegriffs der "regelmäßigen Arbeitsstätte" (BFH, Urteil vom 4.4.2019, VI R 27/17, Haufe-Index 13227100, BFH/PR 2019, 238; BFH, Urteil vom 11.4.2019, VI R 40/16, Haufe-Index 13227094, BFH/PR 2019, 240; BFH, Urteil vom 11.4.2019, VI R 12/17, Haufe-Index 13227098, BFH/PR 2019, 242).
3. Von einer dauerhaften Zuordnung ist ausweislich der in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG aufgeführten Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Fehlt eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte entsprechend § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft
a) typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder
b) je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.
aa) Eine Zuordnung ist unbefristet i.S.d. § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative EStG, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt.
bb) Die Zuordnung erfolgt gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStGfür die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben soll.
4. Nach diesen Maßstäben ist das FG im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger im Streitfall nicht über eine erste Tätigkeitsstätte verfügte.
a) Die Bet...