Leitsatz

Die Haftung des an einem Unternehmen wesentlich beteiligten Eigentümers nach § 74 AO erstreckt sich nicht nur auf die dem Unternehmen überlassenen und diesem dienenden Gegenstände, sondern sie erfasst in Fällen der Weggabe oder des Verlusts von Gegenständen nach der Haftungsinanspruchnahme auch die Surrogate, wie z.B. Veräußerungserlöse oder Schadenersatzzahlungen.

 

Normenkette

§ 74 AO

 

Sachverhalt

Ein an einer KG wesentlich Beteiligter wurde vom FA als Haftungsschuldner für die unbeglichenen Steuerschulden der KG in Anspruch genommen, welcher er u.a. bewegliches Anlagevermögen überlassen hatte, dessen Eigentümer er jedoch geblieben war. Die Haftungsinanspruchnahme war in dem betreffenden Bescheid u.a. auf die Surrogate solcher Gegenstände erstreckt, die bereits vor Erlass des Bescheides nicht mehr Eigentum des Haftungsschuldners gewesen sind.

 

Entscheidung

Der BFH (Vorinstanz: FG Münster, Urteil vom 2.9.2010, 5 K 4112/08 U, Haufe-Index 2552310, EFG 2011, 8) hält die Haftungsinanspruchnahme aus den vorgenannten Gründen für zulässig!

 

Hinweis

Ein Eigentümer von Gegenständen, die einem Unternehmen dienen, haftet "mit diesen" für diejenigen Steuern des Unternehmens, bei denen sich die Steuerpflicht – wie bei der USt – auf den Betrieb des Unternehmens gründet; Voraussetzung ist, dass er – wie im Entscheidungsfall – an dem Unternehmen wesentlich beteiligt ist. Die Haftung erstreckt sich auf die Steuern, die während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstanden sind.

Die Haftung ist also gegenständlich beschränkt. Nimmt man das Gesetz beim Wort, müsste man es für möglich halten, dass sich der Betreffende, wenn er wach ist, der Haftung dadurch entzieht, dass er die an sich haftenden Gegenstände schnell veräußert, bevor das FA auf sie zugreift. Das wird verbreitet im Schrifttum – gleichsam ganz gesetzestreu – jedenfalls dann zugelassen, wenn die betreffenden Gegenstände sich schon bei Erlass des Haftungsbescheids nicht mehr im Vermögen des Haftenden befinden. Aber wie lässt sich diese gut gemeinte Differenzierung dogmatisch rechtfertigen? Ist nicht der Sinn des Gesetzes, den Unternehmensbeteiligten zwar nicht auf den Wert der von ihm dem Unternehmen zur Verfügung gestellten Gegenstände haften zu lassen, wohl aber ggf. auf das, was er an deren Stelle erlangt oder erworben hat, also auf die Surrogate?

So hat es jetzt der BFH entschieden. Freilich fragt man sich jetzt erst recht, was sich der Gesetzgeber bei dieser Vorschrift gedacht hat: warum Haftung für Surrogate und nicht – wie vom BFH offengelassen – mit dem Wert der Gegenstände, deren Nutzung durch das steuerschuldige Unternehmen ja mutmaßlich für das Entstehen der betreffenden Schulden (mit)verantwortlich ist? Aber dann müsste man den Mut haben, den Wortlaut des Gesetzes gänzlich als völlig missglückt beiseitezuschieben …

Mit einem Wort: die Sache bleibt so oder so unbefriedigend!

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 22.11.2011 – VII R 63/10

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