Leitsatz
1. Soweit die Einnahmen einer Holdingkapitalgesellschaft ausschließlich aus nach § 8b Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (weitgehend) steuerfreien Beteiligungseinkünften bestehen, ist bei ihr eine zwangsläufige Überzahlersituation aufgrund der "Art der Geschäfte" dauerhaft gegeben.
2. Sieht die Satzung einer Holdingkapitalgesellschaft vor, dass die Gesellschaft auch eine weitere Geschäftstätigkeit entfalten darf, mit der sie die Überzahlersituation vermeiden könnte, kommt es darauf nicht an, wenn die Gesellschaft von dieser Möglichkeit tatsächlich dauerhaft keinen Gebrauch macht und nach ihrer Struktur auch nicht dazu in der Lage wäre, eine solche weitere Geschäftstätigkeit auszuüben. Dasselbe gilt, wenn die Gesellschaft von der Ermächtigung zwar Gebrauch macht, dabei aber nicht am Markt tätig wird und wenn sie ohne vorherige Änderung ihrer Struktur nicht in der Lage wäre, die entfaltete Tätigkeit mit Gewinn auch am Markt anzubieten.
3. Der Dauerhaftigkeit einer solchen Situation steht nicht entgegen, dass die Gesellschaft ihre Struktur ändern könnte.
Normenkette
§ 44a Abs. 5 Sätze 1, 4 und 5, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, § 8b Abs. 1 KStG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, war Alleingesellschafterin einer anderen GmbH, von der sie Ausschüttungen erhielt. Nach ihrer Satzung war der Klägerin nicht nur das Halten und Verwalten von Beteiligungen erlaubt, sondern auch die Beratung anderer Unternehmen (außer Rechts- und Steuerberatung). Tatsächlich erbrachte die Klägerin Beratungsleistungen nur gegenüber ihrer Tochtergesellschaft. Da die Klägerin nicht über eigenes Personal verfügte, kaufte sie die Leistungen selbst ein und reichte sie zu nicht kostendeckenden Preisen an ihre Tochter weiter. Das FA lehnte die Erteilung der Dauerüberzahlerbescheinigung ab, da die Klägerin nach ihrer Satzung steuerpflichtige Gewinne erzielen könne. Das FG hat der Klage stattgegeben (FG München, Urteil vom 15.3.2021, 7 K 1827/18, Haufe-Index 14509901, EFG 2021, 1383).
Entscheidung
Die dagegen gerichtete Revision des FA hat der BFH zurückgewiesen. Die Klägerin darf zwar nach ihrer Satzung auch Leistungen der Unternehmensberatung anbieten. Sie erbringt solche Leistungen aber gegenwärtig nur gegenüber ihrer Tochtergesellschaft und ist aufgrund ihrer Struktur (kein eigenes Personal) nicht in der Lage, die Tätigkeit mit Gewinn auch am Markt anzubieten. Die Situation ist auch dauerhaft. Die Klägerin hat deshalb einen Anspruch auf die Erteilung der begehrten Bescheinigung.
Hinweis
Mit der Besprechungsentscheidung hat der BFH seine ältere Rechtsprechung zu § 44a Abs. 5 EStG fortentwickelt und zugleich für unbeschränkt steuerpflichtige Holdingkapitalgesellschaften den Zugang zu einer sog. Dauerüberzahlerbescheinigung geöffnet.
1. Für bestimmte Kapitalerträge, die beim Gläubiger Betriebseinnahmen sind, wird die KapESt nicht erhoben, wenn sie auf Dauer höher wäre als die gesamte festzusetzende ESt oder KSt (Dauerüberzahlersituation). Die KapESt hat insoweit keine abgeltende Wirkung, sondern sie wirkt wie eine Vorauszahlung auf die festzusetzende ESt oder KSt. Eine Anpassung dieser unechten "Vorauszahlung" ist im System der KapESt nicht vorgesehen. Das Gesetz sieht deshalb eine Alles-oder-nichts-Lösung vor.
2. Weitere Voraussetzung für die Abstandnahme vom KapESt-Abzug ist, dass die Dauerüberzahlersituation ihre Ursache in der "Art der Geschäfte" hat, die der Gläubiger ausübt. Über die Auslegung dieses Merkmals wurde gestritten.
3. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist durch eine Bescheinigung des zuständigen FA nachzuweisen, die unter dem Vorbehalt des Widerrufs erteilt wird (§ 44a Abs. 5 Sätze 4 und 5 EStG).
4. Nach bisheriger Rechtsprechung des BFH konnten Holdingkapitalgesellschaften eine Dauerüberzahlerbescheinigung grundsätzlich nicht erhalten.
a) Die Rechtsprechung beruhte einerseits auf der Annahme, dass nur Unternehmungen erfasst sein sollten, die einen Großteil ihrer Kapitalerträge an ihre Kunden weiterreichen wie Lebensversicherungen und Verwertungsgesellschaften (vgl. BFH, Urteil 27.8.1997, I R 22/97, BFH/NV 1998, 264, BStBl II 1997, 817).
b) Sie war andererseits zur Rechtslage vor Einführung von § 8b Abs. 1 KStG ergangen.
5. Davon abweichend hat der VIII. Senat nun eine durch die "Art der Geschäfte" bedingte Dauerüberzahlersituation bei "reinen" Holdingkapitalgesellschaften erstmals bejaht (Leitsatz 1), wenn und soweit ihre Beteiligungseinkünfte nach § 8b Abs. 1 KStG weitgehend steuerfrei sind. Dann ist die KapESt (nach der Art der Geschäfte) dauerhaft höher als die festgesetzte KSt. Eine "reine" Holdingkapitalgesellschaft liegt vor, wenn die Gesellschaft ausschließlich nach § 8b Abs. 1 KStG weitgehend steuerfreie Beteiligungseinkünfte erzielt.
a) Obwohl der BFH nicht zu einer solchen Gesellschaft entschieden hat, handelt es sich m.E. nicht um ein obiter dictum, sondern um eine mit Bindungswirkung entschiedene Vorfrage.
b) Eine Vorlage an den Großen Senat oder eine Anfrage beim I. Senat waren nicht veranlasst, weil die alleinige...