Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, Beförderung von menschlichen Organen, Beförderung ist keine Lieferung
Leitsatz (amtlich)
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, der „die Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch“ von der Mehrwertsteuer befreit, ist dahin auszulegen, dass er nicht auf Beförderungen von menschlichen Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen anwendbar ist, die von einem Selbständigen für Krankenhäuser und Laboratorien durchgeführt werden.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d
Beteiligte
Verfahrensgang
Cour de Cassation (Belgien) (Urteil vom 18.06.2009; Abl.EU 2009, Nr. C 220/20) |
Tatbestand
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d ‐ Befreiungen dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten ‐ Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch ‐ Befreiung der Beförderung von Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen, die von einem Selbständigen für Krankenhäuser und Laboratorien durchgeführt wird ‐ Begriffe ‘Lieferung von Gegenständen’ und ‘Dienstleistung’ ‐ Unterscheidungskriterien“
In der Rechtssache C-237/09
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Cour de cassation (Belgien) mit Entscheidung vom 18. Juni 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Juli 2009, in dem Verfahren
État belge
gegen
Nathalie De Fruytier
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász, J. Malenovský (Berichterstatter) und D. Sváby,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ von Frau De Fruytier, vertreten durch E. Traversa, avocat,
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs als Bevollmächtigte,
‐ der griechischen Regierung, vertreten durch K. Georgiadis, I. Bakopoulos und M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Afonso als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits von Frau De Fruytier gegen den belgischen Staat wegen der Frage, ob die Beförderung von Organen und dem menschlichen Körper entnommenen Substanzen für verschiedene Krankenhäuser und Laboratorien, die die Betroffene als Selbständige durchführt, der Mehrwertsteuer unterliegt.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Nach Art. 5 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie gilt als „Lieferung eines Gegenstands“ die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.
Rz. 4
Nach Art. 6 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie gilt als „Dienstleistung“ jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des Art. 5 dieser Richtlinie ist.
Rz. 5
Art. 13 Teil A Abs. 1 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„… [D]ie Mitgliedstaaten [befreien] unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
…
d) die Lieferungen von menschlichen Organen, menschlichem Blut und Frauenmilch;
…“
Nationales Recht
Rz. 6
Die Art. 10 und 18 des Code de la taxe sur la valeur ajoutée (Mehrwertsteuergesetz, im Folgenden: CTVA) setzen die in den Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie enthaltenen Begriffsbestimmungen für „Lieferung von Gegenständen“ und „Dienstleistungen“ in nationales Recht um.
Rz. 7
Art. 10 CTVA bestimmt:
„§ 1. Als Lieferung eines Gegenstands gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. Dazu gehören u. a. die Fälle, in denen ein Gegenstand dem Erwerber oder Übernehmer in Erfüllung eines Übergabevertrags oder einer Anweisung zur Verfügung gestellt wird.
…“
Rz. 8
In Art. 18 CTVA heißt es:
„§ 1. Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne dieses Code ist.
…“
Rz. 9
Art. 44 CTVA, der Art. 13 Teil A der Sechsten Richtlinie („Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten“) in nationales Recht umsetzt, bestimmt:
„§ 1. Von der Steuer befreit sin...