Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrswertsteuer auf Immobilien, Steuerbefreiung, Frankreich, Eigentümer mit Sitz in einem überseeischen Land
Leitsatz (amtlich)
Art. 64 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass Art. 63 AEUV nicht die Anwendung einer am 31. Dezember 1993 bestehenden nationalen Regelung berührt, die Gesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union von der Steuer auf den Verkehrswert von in diesem Staat belegenen Immobilien befreit, diese Befreiung aber bei Gesellschaften mit Sitz in einem überseeischen Land oder Gebiet vom Bestehen eines zwischen dem besagten Mitgliedstaat und diesem Land oder Gebiet zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht geschlossenen Amtshilfeabkommens oder davon abhängig macht, dass diese juristischen Personen aufgrund eines Staatsvertrags, der eine Bestimmung über ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält, keiner höheren Besteuerung unterworfen werden dürfen als die im Gebiet eben dieses Mitgliedstaats ansässigen Gesellschaften.
Normenkette
AEUV Art. 64 Abs. 1, Art. 63
Beteiligte
Directeur des services fiscaux |
Verfahrensgang
Tribunal de grande instance de Paris (Frankreich) (Urteil vom 09.09.2009; Abl.EU 2009, Nr. C 312/17) |
Tatbestand
„Direkte Besteuerung ‐ Freier Kapitalverkehr ‐ Art. 64 AEUV ‐ Juristische Personen, die in einem Drittstaat ansässig sind ‐ Besitz von in einem Mitgliedstaat belegenen Immobilien ‐ Steuer auf den Verkehrswert dieser Immobilien ‐ Versagung der Steuerbefreiung ‐ Beurteilung in Bezug auf überseeische Länder und Gebiete ‐ Bekämpfung von Steuerhinterziehung ‐ Gesamtschuldnerische Haftung“
In der Rechtssache C-384/09
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunal de grande instance de Paris (Frankreich) mit Entscheidung vom 9. September 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 29. September 2009, in dem Verfahren
Prunus SARL,
Polonium SA
gegen
Directeur des services fiscaux
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters D. Šváby, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász und G. Arestis (Berichterstatter),
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Prunus SARL und der Polonium SA, vertreten durch P. Guillet und E. Clément, avocats,
‐ der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, A. Adam und J.-S. Pilczer als Bevollmächtigte,
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch J.-C. Halleux und M. Jacobs als Bevollmächtigte,
‐ der dänischen Regierung, vertreten durch B. Weis Fogh als Bevollmächtigte,
‐ der estnischen Regierung, vertreten durch L. Uibo als Bevollmächtigten,
‐ der spanischen Regierung, vertreten durch M. Muñoz Pérez als Bevollmächtigten,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und B. Koopman als Bevollmächtigte,
‐ der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk und C. Meyer-Seitz als Bevollmächtigte,
‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch H. Walker als Bevollmächtigte im Beistand von S. Ford, Barrister,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und J.-P. Keppenne als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Dezember 2010
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 63 ff. AEUV. Bei den in der vorliegenden Rechtssache aufgeworfenen Fragen geht es im Wesentlichen darum, ob die französische Steuer auf den Verkehrswert von in Frankreich belegenen Immobilien einer Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat auch dann gilt, wenn die Gesellschaft in einem der überseeischen Länder und Gebiete (im Folgenden: ÜLG), hier auf den Britischen Jungferninseln, ansässig ist, und ob die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der Steuer, die für jede juristische Person gilt, die zwischen dem Steuerschuldner und den in Frankreich belegenen Immobilien zwischengeschaltet ist, eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Prunus SARL (im Folgenden: Prunus) und der Polonium SA (im Folgenden: Polonium) auf der einen Seite und dem Directeur général des impôts und dem Directeur des services fiscaux von Aix-en-Provence (im Folgenden zusammenfassend: französische Steuerverwaltung) auf der anderen Seite über die Zahlung, zu der Prunus als Gesamtschuldner verpflichtet war, weil zwei Gesellschaften, die Anteilseigner von Prunus sind, der Steuer auf den Verkehrswert von in Frankreich belegenen Immobilien im Besitz von juristischen Personen (im Folgenden: Steuer in Höhe von 3 %) unterliegen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Am 25. Juli 1991 erließ der ...