Entscheidungsstichwort (Thema)
Beförderung von Mineralölen
Normenkette
EWGRL 12/92 Art. 14 Abs. 1 S. 1
Beteiligte
Agenzia delle Dogane e dei Monopoli |
Verfahrensgang
Corte Suprema di Cassazione (Italien) (Beschluss vom 06.05.2022; ABl. EU 2022, Nr. C 294/16) |
Tenor
Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren
ist dahin auszulegen, dass
die darin vorgesehene Steuerbefreiung einem für die Zahlung der Steuern haftenden Lagerinhaber im Fall einer durch eine rechtswidrige Handlung bedingten Entnahme aus dem Verfahren der Steueraussetzung auch dann nicht zu gewähren ist, wenn er in keinerlei Beziehung zu dieser, ausschließlich einem Dritten zuzurechnenden, rechtswidrigen Handlung steht und zu Recht darauf vertraut, dass die Ware im Rahmen des Verfahrens der Steueraussetzung ordnungsgemäß befördert wurde.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 6. Mai 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Mai 2022, in dem Verfahren
KRI SpA, Rechtsnachfolgerin der SI.LO.NE. – Sistema logistico nord-est Srl,
gegen
Agenzia delle Dogane e dei Monopoli
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. Gratsias sowie der Richter M. Ilešič (Berichterstatter) und Z. Csehi,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der KRI SpA, vertreten durch M. Logozzo und F. C. Palermo, Avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von A. Collabolletta, Avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Björkland und F. Moro als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. 1992, L 76, S. 1) in der durch die Richtlinie 2004/106/EG des Rates vom 16. November 2004 (ABl. 2004, L 359, S. 30) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 92/12).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der KRI SpA, Rechtsnachfolgerin der SI.LO.NE. – Sistema logistico nord-est Srl, und der Agenzia delle Dogane e dei Monopoli (Zoll- und Monopolagentur, Italien) über die Erhebung von Verbrauchsteuern, die dieses Unternehmen angeblich schuldet, weil es bei der Beförderung von Mineralölen gegen das Verfahren der Steueraussetzung verstoßen haben soll.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 1, 4 und 5 der Richtlinie 92/12 lauteten:
„Die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes setzt den freien Verkehr der Waren einschließlich der verbrauchsteuerpflichtigen Waren voraus.
…
Um die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes sicherzustellen, muss der Steueranspruch in allen Mitgliedstaaten identisch sein.
Jede Warenlieferung, jeder Besitz von zur Lieferung bestimmten Waren oder jede Bereitstellung von Waren für den Bedarf eines Wirtschaftsbeteiligten, der eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, oder einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung innerhalb eines anderen Mitgliedstaats als dem, in dem die Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, lässt den Verbrauchsteueranspruch in diesem anderen Mitgliedstaat entstehen.”
Rz. 4
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 92/12 sah vor:
„Diese Richtlinie regelt die Verbrauchsteuern und die anderen indirekten Steuern, die unmittelbar oder mittelbar auf den Verbrauch von Waren erhoben werden, mit Ausnahme der Mehrwertsteuer und der von der [Europäischen] Gemeinschaft festgelegten Abgaben.”
Rz. 5
Nach ihrem Art. 3 Abs. 1 fand die Richtlinie 92/12 auf Gemeinschaftsebene u. a. auf Mineralöle Anwendung.
Rz. 6
Art. 4 der Richtlinie 92/12 bestimmte:
„Im Sinne dieser Richtlinie gelten als
- zugelassener Lagerinhaber: die natürliche oder juristische Person, die von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats ermächtigt wurde, in Ausübung ihres Berufs unter Steueraussetzung verbrauchsteuerpflichtige Waren in einem Steuerlager herzustellen, zu bearbeiten, zu lagern, zu empfangen und zu versenden;
- Steuerlager: jeder Ort, an dem unter bestimmten, von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem sich das Steuerlager befindet, festgelegten Voraussetzungen verbrauchsteuerpflichtige Waren unter Steueraussetzung vom zugelassenen Lagerinhaber hergestellt, bearbeitet, gelagert, empfangen oder versandt werden;
- Verfahren der Steueraussetzung: die steuerliche Regelung, die auf die Herstellung, die Verarbeitung, die Lagerung sowie die Beförderu...