Entscheidungsstichwort (Thema)
Mobiliensteuervorabzug auf Dividenden, In verschiedenen Mitgliedstaaten ansässige Mutter- und Tochtergesellschaften, Nullsatzbesteuerung
Leitsatz (amtlich)
Die Richtlinie 90/435 EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten ist dahin auszulegen, dass ihr Art. 5 Abs. 1 der Regelung eines Mitgliedstaats, wonach auf Dividenden, die von einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft an einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen steuerlichen Anlageorganismus ausgeschüttet werden, der unter der Voraussetzung, dass er seine Gewinne vollständig an seine Anteilseigner ausschüttet, der Körperschaftsteuer zum Nullsatz unterliegt, ein Mobiliensteuervorabzug erhoben wird, nicht entgegensteht, da ein solcher Organismus keine „Gesellschaft eines Mitgliedstaats“ im Sinne dieser Richtlinie ist.
Normenkette
EWGRL 435/90
Beteiligte
Wereldhave Belgium Comm.VA u.a |
Verfahrensgang
Hof van Beoep te Brussel (Belgien) (Beschluss vom 24.06.2015; Abl.EU 2015, Nr. C 363/23) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ In verschiedenen Mitgliedstaaten ansässige Mutter- und Tochtergesellschaften ‐ Gemeinsames anwendbares Steuersystem ‐ Körperschaftsteuer ‐ Richtlinie 90/435/EWG ‐ Geltungsbereich ‐ Art. 2 Buchst. c ‐ Gesellschaft, die ohne Wahlmöglichkeit einer Steuer unterliegt, ohne davon befreit zu sein ‐ Besteuerung zum Nullsatz“
In der Rechtssache C-448/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hof van beroep te Brussel (Berufungsgericht Brüssel, Belgien) mit Entscheidung vom 24. Juni 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 19. August 2015, in dem Verfahren
Belgische Staat
gegen
Wereldhave Belgium Comm.VA,
Wereldhave International NV,
Wereldhave NV
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, der Richterin M. Berger sowie der Richter A. Borg Barthet, E. Levits (Berichterstatter) und F. Biltgen,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Wereldhave Belgium Comm. VA, der Wereldhave International NV und der Wereldhave NV, vertreten durch R. Tournicourt und M. Delanote, advocaten,
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch N. Zimmer und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte,
‐ der tschechischen Regierung, vertreten durch T. Müller, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
‐ der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und S. Ghiandoni als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Oktober 2016
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. 1990, L 225, S. 6) sowie der Art. 43 und 56 EG.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Belgische Staat (Belgischer Staat) und der Wereldhave Belgium Comm. V.A., der Wereldhave International NV und der Wereldhave NV über den Mobiliensteuervorabzug auf Dividenden, die von Wereldhave Belgium in den Steuerjahren 1999 und 2000 an Wereldhave International und an Wereldhave ausgeschüttet wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 90/435 lautete:
„Die für die Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten geltenden Steuerbestimmungen weisen von einem Staat zum anderen erhebliche Unterschiede auf und sind im Allgemeinen weniger günstig als die auf die Beziehung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften desselben Mitgliedstaats anwendbaren Bestimmungen. Die Zusammenarbeit von Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten wird auf diese Weise gegenüber der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften desselben Mitgliedstaats benachteiligt. Diese Benachteiligung ist durch Schaffung eines gemeinsamen Steuersystems zu beseitigen, wodurch Zusammenschlüsse von Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene erleichtert werden.“
Rz. 4
Art.1 Abs. 1 dieser Richtlinie lautete:
„Jeder Mitgliedstaat wendet diese Richtlinie an
‐ auf Gewinnausschüttungen, die Gesellschaften dieses Staates von Tochtergesellschaften eines anderen Mitgliedstaats zufließen;
‐ auf Gewinnausschüttungen von Tochtergesellschaften dieses Staates an Gesellschaften anderer Mitgliedstaaten.“
Rz. 5
Art. 2 der Richtlinie 90/435 sah vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie ist ‚Gesellschaft eines Mitgliedstaats‘ jede Gesellschaft:
a) die eine der im Anhang aufgeführten Formen aufweist;
b) die nach dem Steuerrecht eines Mitgliedstaats in Bezug auf den steuerlichen Wohnsitz als in diesem Staat ansässi...