Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, ärztliche Heilbehandlung, medizinische Analysen durch ein privatrechtliches Labor
Leitsatz (amtlich)
Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass der vorbeugenden Beobachtung und Untersuchung der Patienten dienende medizinische Analysen, die wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von einem in privatrechtlicher Form organisierten Labor außerhalb einer Heilbehandlungseinrichtung auf Anordnung praktischer Ärzte durchgeführt werden, als ärztliche Heilbehandlungen einer anderen ordnungsgemäß anerkannten privatrechtlichen Einrichtung im Sinne dieser Bestimmung unter die dort vorgesehene Befreiung fallen können.
Artikel 13 Teil A Absätze 1 Buchstabe b und 2 Buchstabe a der Richtlinie steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach die Befreiung derartiger medizinischer Analysen von Bedingungen abhängt, die nicht für die Befreiung der Heilbehandlungen der praktischen Ärzte gelten, die sie angeordnet haben, und sich von denen unterscheiden, die für die mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze im Sinne der erstgenannten Bestimmung gelten.
Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie steht einer nationalen Regelung entgegen, wonach die Befreiung der medizinischen Analysen, die von einem in privatrechtlicher Form organisierten Labor außerhalb einer Heilbehandlungseinrichtung durchgeführt werden, von der Bedingung abhängt, dass sie unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden. Dagegen verstößt es nicht gegen diese Bestimmung, dass nach der nationalen Regelung die Befreiung dieser Analysen von der Bedingung abhängt, dass mindestens 40 % von ihnen Personen zugute kommen, die bei einem Träger der Sozialversicherung versichert sind.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b, Abs. 2 Buchst. a
Beteiligte
Verfahrensgang
Tatbestand
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Befreiungen ‐ Artikel 13 Teil A Absätze 1 Buchstaben b und c und 2 Buchstabe a ‐ Ärztliche Heilbehandlung durch Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind ‐ Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung eines ärztlichen Berufes erbracht werden ‐ Medizinische Analysen, die ein in privatrechtlicher Form organisiertes Labor außerhalb einer Heilbehandlungseinrichtung auf Anordnung praktischer Ärzte durchführt ‐ Bedingungen für die Befreiung ‐ Ermessen der Mitgliedstaaten ‐ Grenzen“
In der Rechtssache C-106/05
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 25. November 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 3. März 2005, in dem Verfahren
L. u. P. GmbH
gegen
Finanzamt Bochum-Mitte
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter J. Malenovský, J.-P. Puissochet, U. Lõhmus und A. Ó Caoimh (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der L. u. P. GmbH, vertreten zunächst durch die Steuerberater R. Todtenhöfer und N. Bohn, sodann durch Rechtsanwalt W. Krieger,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. März 2006
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 13 Teil A Absätze 1 Buchstaben b und c und 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der L. u. P. GmbH (im Folgenden: L. u. P.) und dem Finanzamt Bochum-Mitte (im Folgenden: Finanzamt) über dessen Weigerung, medizinische Analysen von der Mehrwertsteuer zu befreien, die L. u. P. für Laborgemeinschaften durchgeführt hat, zu denen sich praktische Ärzte zusammengeschlossen haben, die diese Analysen im Rahmen ihrer Heilbehandlungen angeordnet haben.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und c der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehunge...