Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollkodex, Zuständigkeit des EuGH, Aussetzung des Vollzugs einer Entscheidung der Zollbehörden, Rechtsbehelf
Leitsatz (amtlich)
1.Artikel 243 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ist so auszulegen, dass es Sache des nationalen Rechts ist, zu bestimmen, ob die Wirtschaftsteilnehmer zunächst einen Rechtsbehelf bei der Zollbehörde einlegen müssen oder ob sie das Gericht unmittelbar anrufen können.
2.Artikel 244 der Verordnung Nr. 2913/92 ist so auszulegen, dass er nur den Zollbehörden die Befugnis einräumt, den Vollzug einer angefochtenen Entscheidung auszusetzen. Diese Vorschrift schränkt jedoch nicht die Befugnis der gemäß Artikel 243 dieser Verordnung mit einem Rechtsbehelf befassten Gerichte ein, eine solche Aussetzung anzuordnen, um ihrer Pflicht zur Sicherstellung der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nachzukommen.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 243-244
Beteiligte
Servizio della Riscossione dei Tributi - Concessione Provincia di Genova - San Paolo Riscossioni Genova SpA |
Verfahrensgang
Tribunale di Genova (Italien) |
Tatbestand
Vorabentscheidungsersuchen - Zuständigkeit des Gerichtshofes - Nationale Rechtsvorschriften, die Gemeinschaftsvorschriften übernehmen - Zollkodex der Gemeinschaften - Rechtsbehelf - Zwingender Charakter der beiden Rechtsbehelfsstufen - Aussetzung des Vollzugs einer Entscheidung der Zollbehörden
In der Rechtssache C-1/99
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Tribunale civile e penale Genua (Italien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Kofisa Italia Srl
gegen
Ministero delle Finanze,
Servizio della Riscossione dei Tributi - Concessione Provincia di Genova - San Paolo Riscossioni Genova SpA
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 243 und 244 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. La Pergola sowie der Richter M. Wathelet, D. A. O. Edward, P. Jann (Berichterstatter) und L. Sevón,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
-der Kofisa Italia Srl, vertreten durch Rechtsanwalt G. Leone,
-der italienischen Regierung, vertreten durch U. Leanza als Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato I. M. Braguglia,
-die Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. V. Magrill als Bevollmächtigte im Beistand von Barrister S. Moore,
-der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Tricot und P. Stancanelli als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Kofisa Italia Srl, vertreten durch Rechtsanwalt G. Leone, der italienischen Regierung, vertreten durch Avvocato dello Stato G. De Bellis, sowie der Kommission, vertreten durch P. Stancanelli, in der Sitzung vom 22. Juni 2000,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. September 2000,
folgendes
Urteil
1. Das Tribunale civile e penale Genua hat mit Beschluss vom 18. Dezember 1998, der am 4. Januar 1999 beim Gerichtshof eingegangen ist, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 243 und 244 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1; im Folgenden: Zollkodex) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Kofisa Italia Srl (im Folgenden: Kofisa) und dem Ministero delle Finanze (Ministerium der Finanzen) sowie dem Servizio della Riscossione dei Tributi - Concessione Provincia di Genova - San Paolo Riscossioni Genova SpA (Steuereinzugsstelle Provinz Genua) im Zusammenhang mit der Beitreibung von Einfuhrmehrwertsteuer.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3. Titel VIII des Zollkodex mit der Überschrift Rechtsbehelf enthält die Artikel 243 bis 245.
4. Artikel 243 des Zollkodex lautet:
(1)Jede Person kann einen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen der Zollbehörden auf dem Gebiet des Zollrechts einlegen, die sie unmittelbar und persönlich betreffen.
Einen Rechtsbehelf kann auch einlegen, wer bei den Zollbehörden eine Entscheidung auf dem Gebiet des Zollrechts beantragt hat, aber innerhalb der Frist nach Artikel 6 Absatz 2 keine Entscheidung erhalten hat.
Der Rechtsbehelf ist in dem Mitgliedstaat einzulegen, in dem die Entscheidung getroffen oder beantragt wurde.
(2)Ein Rechtsbehelf kann eingelegt werden:
a)auf einer ersten Stufe bei der von den Mitgliedstaaten dafür bestimmten Zollbehörde;
b)auf einer zweiten Stufe bei einer unabhängigen Instanz; dabei kann es sich nach dem geltenden Recht der Mitgliedstaaten um ein Gericht oder eine gleichwertige spezielle Stelle handeln.
5. Artikel 244 ...