Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse, Rücknahme bei Erstattungen ohne Rechtsgrund, Pflicht zum Nachweis eines missbräuchlichen Verhaltens des Ausführers
Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen eines Verfahrens zur Rücknahme und Wiedereinziehung von differenzierten Ausfuhrerstattungen, die auf der Grundlage der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen endgültig gezahlt worden sind, muss die Feststellung, dass diese Erstattungen ohne Rechtsgrund gezahlt worden sind, durch den gemäß den Regeln des nationalen Rechts erbrachten Nachweis eines missbräuchlichen Verhaltens des Ausführers untermauert werden.
2. Im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften ist eine Unregelmäßigkeit andauernd oder wiederholt, wenn sie von einem Wirtschaftsteilnehmer der Gemeinschaft begangen wird, der wirtschaftliche Vorteile aus einer Gesamtheit von ähnlichen Geschäften zieht, die gegen dieselbe Vorschrift des Gemeinschaftsrechts verstoßen. Dabei ist unerheblich, dass die Unregelmäßigkeit sich auf einen verhältnismäßig kleinen Teil aller in einem bestimmten Zeitraum getätigten Geschäfte bezieht und dass die Geschäfte, bei denen die Unregelmäßigkeit festgestellt wird, immer andere Partien betreffen.
Normenkette
EWGV 3665/87; EGV 2988/95 Art. 3 Abs. 1
Beteiligte
Verfahrensgang
College van Beroep voor het Bedrijfsleven (Niederlande) (Urteil vom 30.06.2005) |
Tatbestand
„Landwirtschaft ‐ Gemeinsame Marktorganisation ‐ Käse ‐ Art. 16 bis 18 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 ‐ Unterschiedliche Ausfuhrerstattungen ‐ Fast unmittelbare Wiederausfuhr aus dem Einfuhrland ‐ Nachweis eines missbräuchlichen Verhaltens ‐ Rückforderung zu viel gezahlter Beträge ‐ Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 ‐ Andauernde oder wiederholte Unregelmäßigkeit“
In der Rechtssache C-279/05
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, vorgelegt vom College van Beroep voor het bedrijfsleven (Niederlande) mit Entscheidung vom 30. Juni 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juli 2005, in dem Verfahren
Vonk Dairy Products BV
gegen
Productschap Zuivel
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter K. Lenaerts, J. N. Cunha Rodrigues, M. Ilešič (Berichterstatter) und E. Levits,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Vonk Dairy Products BV, vertreten durch J. H. Peek, advocaat,
‐ des Königreichs der Niederlande, vertreten durch H. G. Sevenster und M. de Mol als Bevollmächtigte,
‐ der Hellenischen Republik, vertreten durch I. Chalkias und S. Papaioannou als Bevollmächtigte,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. Cattabriga und M. van Heezik als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 7. Juni 2006
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 16 bis 18 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. L 351, S. 1) und des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 312, S. 1).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Vonk Dairy Products BV und dem Productschap Zuivel (Berufsverband der Milchindustrie) über die Rücknahme und die Wiedereinziehung, erhöht um 15 %, einer von der Klägerin bezogenen Ausfuhrerstattung.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Verordnung Nr. 3665/87
3
Art. 1 der Verordnung Nr. 3665/87 sieht vor:
„Diese Verordnung legt unbeschadet abweichender Vorschriften in den besonderen Gemeinschaftsregelungen für bestimmte Erzeugnisse die gemeinsamen Durchführungsvorschriften für Erstattungen bei der Ausfuhr ‐ nachstehend Ausfuhrerstattungen genannt ‐ fest, die vorgesehen sind in:
…
‐ Artikel 17 der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 (Milch und Milcherzeugnisse),
…“
4
In den Art. 4 bis 6 dieser Verordnung heißt es:
„Artikel 4
(1) Unbeschadet der Artikel 5 und 16 ist die Zahlung der Ausfuhrerstattung von dem Nachweis abhängig, dass die Erzeugnisse, für welche die Ausfuhrerklärung angenommen wurde, spätestens sechzig Tage nach dieser Annahme das Zollgebiet der Gemeinschaft in unverändertem Zustand verlassen haben.
…
Artikel 5
(1) Außer von der Voraussetzung, dass das Erzeugnis das Zollgebiet der Gemeinschaft verlassen hat, ist die Zahlung der einheitlichen oder unterschiedli...