Entscheidungsstichwort (Thema)
Niederlassungsfreiheit. Artikel 43 EG und 48 EG. Grenzüberschreitende Verschmelzungen. Ablehnung der Eintragung in das nationale Handelsregister. Vereinbarkeit
Beteiligte
Tenor
Die Artikel 43 EG und 48 EG stehen dem entgegen, dass in einem Mitgliedstaat die Eintragung einer Verschmelzung durch Auflösung ohne Abwicklung einer Gesellschaft und durch Übertragung ihres Vermögens als Ganzes auf eine andere Gesellschaft in das nationale Handelsregister generell verweigert wird, wenn eine der beiden Gesellschaften ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, während eine solche Eintragung, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, möglich ist, wenn beide an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften ihren Sitz im erstgenannten Mitgliedstaat haben.
Tatbestand
In der Rechtssache C-411/03
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Landgericht Koblenz (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. September 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Oktober 2003, in der Handelsregistersache betreffend die Gesellschaft unter der Firma
SEVIC Systems AG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas und K. Schiemann, der Richter C. Gulmann (Berichterstatter) und J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter K. Lenaerts, P. Kuris, E. Juhász, G. Arestis und A. Borg Barthet,
Generalanwalt: A. Tizzano,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der SEVIC Systems AG, vertreten durch Rechtsanwalt C. Beul,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und A. Dittrich als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und N. A. J. Bel als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. Schmidt und G. Braun als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Juli 2005
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 43 EG und 48 EG.
2 Es ergeht im Rahmen einer Beschwerde der SEVIC Systems AG (im Folgenden: SEVIC) mit Sitz in Neuwied (Deutschland) gegen einen Beschluss des Amtsgerichts Neuwied, mit dem ihr Antrag auf Eintragung ihrer Verschmelzung mit der in Luxemburg ansässigen Gesellschaft Security Vision Concept SA (im Folgenden: Security Vision) in das deutsche Handelsregister mit der Begründung zurückgewiesen wurde, dass das deutsche Umwandlungsrecht nur die Verschmelzung von Gesellschaften mit Sitz in Deutschland vorsehe.
Rechtlicher Rahmen
3 Das deutsche Umwandlungsgesetz vom 28. Oktober 1994 (BGBl. 1994 I S. 3210) in seiner 1995 bereinigten und später geänderten Fassung (im Folgenden: Umwandlungsgesetz oder UmwG) bestimmt in seinem § 1 – Arten der Umwandlung; gesetzliche Beschränkungen:
„(1) Rechtsträger mit Sitz im Inland können umgewandelt werden
- durch Verschmelzung;
- durch Spaltung …;
- durch Vermögensübertragung;
- durch Formwechsel.
(2) Eine Umwandlung im Sinne des Absatzes 1 ist außer in den in diesem Gesetz geregelten Fällen nur möglich, wenn sie durch ein anderes Bundesgesetz oder ein Landesgesetz ausdrücklich vorgesehen ist.
(3) Von den Vorschriften dieses Gesetzes kann nur abgewichen werden, wenn dies ausdrücklich zugelassen ist. Ergänzende Bestimmungen in Verträgen, Satzungen, Statuten oder Willenserklärungen sind zulässig, es sei denn, dass dieses Gesetz eine abschließende Regelung enthält.”
4 In § 2 UmwG – Arten der Verschmelzung – heißt es:
„Rechtsträger können unter Auflösung ohne Abwicklung verschmolzen werden
- im Wege der Aufnahme durch Übertragung des Vermögens eines Rechtsträgers oder mehrerer Rechtsträger (übertragende Rechtsträger) als Ganzes auf einen anderen bestehenden Rechtsträger (übernehmender Rechtsträger) oder
- …
gegen Gewährung von Anteilen oder Mitgliedschaften des übernehmenden oder neuen Rechtsträgers an die Anteilsinhaber (Gesellschafter, Partner, Aktionäre, Genossen oder Mitglieder) der übertragenden Rechtsträger.”
5 Die weiteren, spezifisch die Verschmelzung durch Aufnahme betreffenden Bestimmungen des Umwandlungsgesetzes stellen bestimmte Voraussetzungen an den Verschmelzungsvertrag (§§ 4 bis 6), sehen die Erstellung eines Verschmelzungsberichts (§ 8), die Prüfung der Verschmelzung durch sachverständige Prüfer (§§ 9 ff.) sowie die Anmeldung der Verschmelzung (§§ 16 ff.) zur Eintragung in das Handelsregister des Sitzes des übernehmenden Rechtsträgers (§ 19) vor. Die §§ 20 ff. UmwG listen die Wirkungen der Eintragung in dieses Register auf. Schutzvorschriften zugunsten durch die Verschmelzung betroffener Dritter, insbesondere der Gläubiger, vervollständigen die allgemeinen Vorschriften zur Verschmelzung durch Aufnahme.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
6 Der 2002 zwischen der SEVIC und der Security ...