Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbot der Gleichbesteuerung von im Inland und in einem anderen Mitgliedstaat bezogenen Dividenden ohne Anrechnung der im Ausland erhobenen Quellensteuer
Leitsatz (amtlich)
Artikel 73b Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 Absatz 1 EG) steht dem Recht eines Mitgliedstaats wie dem belgischen Steuerrecht nicht entgegen, das im Rahmen der Einkommensteuer die Dividenden im Gebiet dieses Staates ansässiger Gesellschaften und die Dividenden in einem anderen Mitgliedstaat ansässiger Gesellschaften einem gleichen einheitlichen Steuersatz unterwirft, ohne eine Anrechnung der im Wege der Quellensteuer in diesem anderen Mitgliedstaat erhobenen Steuer vorzusehen.
Normenkette
EGVtr Art. 56 Abs. 1
Beteiligte
Verfahrensgang
Rechtbank van eerste aanleg te Antwerpen (Belgien) (Urteil vom 01.12.2004; Abl.EU 2005, Nr. C 57/14) |
Tatbestand
„Einkommensteuer ‐ Dividenden ‐ Steuerliche Belastung von Dividenden aus Anteilen an in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaften ‐ Keine Anrechnung der in einem anderen Mitgliedstaat erhobenen Quellensteuer im Wohnsitzstaat“
In der Rechtssache C-513/04
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Rechtbank van eerste aanleg te Gent (Belgien) mit Entscheidung vom 1. Dezember 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Dezember 2004, in dem Verfahren
Mark Kerckhaert,
Bernadette Morres
gegen
Belgischer Staat
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Lenaerts und E. Juhász, des Richters J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin R. Silva de Lapuerta, der Richter G. Arestis, A. Borg Barthet und E. Levits (Berichterstatter),
Generalanwalt: L. A. Geelhoed,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Januar 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ von Herrn Kerckhaert und Frau Morres, vertreten durch L. De Broe und P. Wytinck, advocaten,
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch E. Dominkovits und M. Wimmer als Bevollmächtigte,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und U. Forsthoff als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,
‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Jackson als Bevollmächtigte im Beistand von S. Moore, Barrister,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und W. Wils als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. April 2006
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 73b Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 Absatz 1 EG).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits von Herrn Kerckhaert und Frau Morres (im Folgenden: Eheleute Kerckhaert-Morres) gegen die Gewestelijke Directie Antwerpen I (im Folgenden: belgische Steuerbehörden) wegen deren Weigerung, ihnen den Pauschalanteil an ausländischer Steuer von 15 % anzurechnen, der in Artikel 19A Absatz 1 Unterabsatz 2 des zwischen Frankreich und Belgien am 10. März 1964 geschlossenen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Festlegung von Regeln über die gegenseitige Verwaltungs- und Rechtshilfe im Bereich der Einkommensteuer in der durch die am 15. Februar 1971 unterzeichnete Zusatzvereinbarung geänderten Fassung (im Folgenden: französisch-belgisches Abkommen) vorgesehen ist.
Das belgische Steuerrecht
Der Code des impôts sur les revenus (Einkommensteuergesetzbuch)
3
Nach Artikel 171 Absatz 3 des Einkommensteuergesetzbuchs (im Folgenden: Steuergesetzbuch) unterliegen Dividenden einem Steuersatz von 25 %.
4
Artikel 187 des Steuergesetzbuchs sah ursprünglich vor, dass für Einkünfte aus Aktien oder Anteilen und aus Investitionskapital, die im Ausland der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer oder der Steuer für Gebietsfremde unterlagen, die Steuer vorab um einen Pauschalanteil dieser ausländischen Steuer herabgesetzt wird.
5
Infolge von Gesetzesänderungen können natürliche Personen dieses Steuerguthaben nicht mehr beanspruchen, wenn sie Dividenden von in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaften beziehen, die aus Einkünften stammen, die bereits in diesem Staat der Einkommensteuer unterlagen, so dass diese Einkünfte mit der in diesem Staat abgezogenen Quellensteuer und mit einem Steuersatz von 25 % nach Artikel 171 Absatz 3 des Steuergesetzbuchs belastet sind.
Das französisch-belgische Abkommen
6
Das französisch-belgische Abkommen soll insbesondere Fälle von Doppelbesteuerung vermeiden, die die Erhebung von Einkommensteuer auf Einkünfte betreffen, mit der ein und dieselbe Person in Frankreich und in Belgien belastet wird.
7
Es sieht in Artikel 15...