Entscheidungsstichwort (Thema)
Herausnahme der Eigenmittel der Kapitalgesellschaft aus der Besteuerungsgrundlage für die Gesellschaftsteuer, Eigenmittel der Kapitalgesellschaft, deren Kapital erhöht wird
Leitsatz (amtlich)
1. Im Fall eines Staates, der, wie die Republik Polen, der Europäischen Union am 1. Mai 2004 beigetreten ist, ist Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung, wenn weder die Akte über den Beitritt dieses Staates zur Europäischen Union noch ein anderer Rechtsakt der Europäischen Union eine Ausnahmeregelung enthält, dahin auszulegen, dass die in diesem Artikel zwingend vorgeschriebene Steuerbefreiung nur für die unter diese ‐ geänderte ‐ Richtlinie fallenden Vorgänge gilt, die in diesem Staat am 1. Juli 1984 von der Gesellschaftsteuer befreit waren oder einem ermäßigten Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen.
2. Art. 5 Abs. 3 erster Gedankenstrich der Richtlinie 69/335, der von der Besteuerungsgrundlage „den Betrag der für die Erhöhung des Kapitals herangezogenen Eigenmittel der Kapitalgesellschaft, die bereits der Gesellschaftsteuer unterlegen haben“, ausnimmt, ist dahin auszulegen, dass er unabhängig davon anwendbar ist, ob es sich um Mittel der Gesellschaft, deren Gesellschaftskapital erhöht wird, handelt oder um solche, die von einer anderen Gesellschaft kommend dieses Kapital erhöhen.
Normenkette
EWGRL 335/69 Art. 7 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3
Beteiligte
Dyrektor Izby Skarbowej w Poznaniu |
Verfahrensgang
Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) (Urteil vom 26.05.2010; ABl. EU 2010, Nr. C 288/20) |
Tatbestand
„Steuerrecht ‐ Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital ‐ Gesellschaftsteuer, die von den Kapitalgesellschaften erhoben wird ‐ Verpflichtung eines Mitgliedstaats, die Richtlinien zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt des Beitritts dieses Staates nicht mehr galten ‐ Herausnahme der Eigenmittel der Kapitalgesellschaft, die für die Erhöhung des Kapitals herangezogen werden und die bereits der Gesellschaftsteuer unterlegen haben, aus der Besteuerungsgrundlage“
In der Rechtssache C-372/10
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) mit Entscheidung vom 26. Mai 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juli 2010, in dem Verfahren
Pak-Holdco sp. z o.o.
gegen
Dyrektor Izby Skarbowej w Poznaniu
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot (Berichterstatter) sowie der Richterin A. Prechal, des Richters K. Schiemann, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Pak-Holdco sp. z o.o., vertreten durch N. Półtorak, radca prawny, und L. Mazur, doradca podatkowy,
‐ der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar, A. Kraińska und A. Kramarczyk als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und K. Herrmann als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 erster Gedankenstrich der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23) geänderten Fassung.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Pak-Holdco sp. z o.o. (im Folgenden: Pak-Holdco) und dem Dyrektor Izby Skarbowej w Poznaniu wegen einer Besteuerung zivilrechtlicher Rechtsgeschäfte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 69/335 bestimmt:
„Der Betrag, auf den die Steuer bei Erhöhung des Kapitals erhoben wird, umfasst nicht:
‐ den Betrag der für die Erhöhung des Kapitals herangezogenen Eigenmittel der Kapitalgesellschaft, die bereits der Gesellschaftsteuer unterlegen haben;
…“
Rz. 4
Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 ist mehrfach geändert worden. In seiner ursprünglichen Fassung bestimmte er:
„Bis zum Inkrafttreten der vom Rat gemäß Absatz 2 zu erlassenden Bestimmungen
a) darf der Satz der Gesellschaftsteuer nicht über 2 v. H. und nicht unter 1 v. H. liegen;
b) wird dieser Satz um 50 v. H. oder mehr ermäßigt, wenn eine oder mehrere Kapitalgesellschaften ihr gesamtes Gesellschaftsvermögen oder einen oder mehrere Zweige ihrer Tätigkeit in eine oder mehrere Kapitalgesellschaften einbringen, die gegründet werden oder bereits bestehen.
Die Ermäßigung hängt davon ab,
‐ dass für die Einlagen ausschließlich Gesellschaftsanteile ge...