Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Steuerrecht. Körperschaftsteuer. Abzug für Risikokapital. Verringerung des abzugsfähigen Betrags bei Gesellschaften mit einer Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat, deren Einkünfte aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Steuer befreit sind. Niederlassungsfreiheit. Benachteiligung. Fehlen
Normenkette
AEUV Art. 49
Beteiligte
Verfahrensgang
Rechtbank van eerste aanleg te Antwerpen (Belgien) (Beschluss vom 29.06.2018; ABl. EU 2018 Nr. C 373/7) |
Tenor
Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, wonach bei der Berechnung eines Steuerabzugs zugunsten einer in einem Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaft mit einer Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat, deren Einkünfte im erstgenannten Mitgliedstaat aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Steuer befreit sind, der Nettowert der Aktiva einer solchen Betriebsstätte in einem ersten Schritt bei der Berechnung des der gebietsansässigen Gesellschaft gewährten Abzugs für Risikokapital berücksichtigt wird, aber in einem zweiten Schritt der Abzugsbetrag um den niedrigeren von zwei Beträgen verringert wird, und zwar um den die Betriebsstätte betreffenden Teil des Abzugs für Risikokapital oder um das von ihr erzielte positive Ergebnis, während eine solche Verringerung im Fall einer im erstgenannten Mitgliedstaat gelegenen Betriebsstätte nicht vorgenommen wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank van eerste aanleg te Antwerpen (Gericht erster Instanz Antwerpen, Belgien) mit Entscheidung vom 29. Juni 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Juli 2018, in dem Verfahren
Argenta Spaarbank NV
gegen
Belgische Staat
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. G. Xuereb sowie der Richter T. von Danwitz und A. Kumin (Berichterstatter),
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Argenta Spaarbank NV, vertreten durch B. De Cock und K. Van Duyse, advocaten,
- der belgischen Regierung, vertreten durch P. Cottin, J.-C. Halleux und C. Pochet als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und N. Gossement als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 AEUV.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Argenta Spaarbank NV (im Folgenden: Argenta) und dem Belgische Staat (Belgischer Staat) wegen der Berechnung des Abzugs für Risikokapital im Rahmen der Besteuerung für das Jahr 2015.
Rechtlicher Rahmen
Belgisches Recht
Rz. 3
Der Abzug für Risikokapital wurde mit der Wet tot invoering van een belastingaftrek voor risicokapitaal (Gesetz zur Einführung eines Steuerabzugs für Risikokapital) vom 22. Juni 2005 (Belgisch Staatsblad vom 30. Juni 2005, S. 30077) in die Regelung der Einkommensteuer aufgenommen.
Rz. 4
Der Begründung dieses Gesetzes ist zu entnehmen, dass mit ihm u. a. der Zweck verfolgt wird, den Unterschied in der steuerlichen Behandlung der Finanzierung von Gesellschaften mittels Fremdkapital, dessen Kosten steuerlich in vollem Umfang absetzbar waren, und der Finanzierung mittels Eigenkapital (Risikokapital), dessen Kosten in vollem Umfang besteuert wurden, zu verringern und die Liquiditätsquote der Gesellschaften zu erhöhen, wobei der Abzug für Risikokapital im Rahmen des allgemeinen Ziels eingeführt wurde, die Wettbewerbsfähigkeit der belgischen Wirtschaft zu verbessern.
Rz. 5
Art. 205bis des Wetboek van de inkomstenbelastingen 1992 (Einkommensteuergesetzbuch 1992, im Folgenden: WIB 1992) sieht in der für das Steuerjahr 2015 geltenden Fassung vor:
„Für die Festlegung des steuerpflichtigen Einkommens wird die steuerpflichtige Grundlage um den gemäß Artikel 205quater festgelegten Betrag verringert. Diese Verringerung wird ‚Abzug für Risikokapital’ genannt.”
Rz. 6
Nach Art. 205quater § 1 WIB 1992 entspricht dieser Abzug für Risikokapital dem gemäß Art. 205ter WIB 1992 festgelegten Risikokapital, multipliziert mit einem in den folgenden Paragraphen des Art. 205quater festgelegten Satz.
Rz. 7
Nach Art. 205ter § 1 Abs. 1 WIB 1992 entspricht das Risikokapital, das bei der Ermittlung des Abzugs für Risikokapital für einen bestimmten Besteuerungszeitraum zu berücksichtigen ist, vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 2 bis 5 dem Betrag des Eigenkapitals der Gesellschaft am Ende des vorhergehenden Besteuerungszeitraums, das gemäß den Rechtsvorschriften über die Buchhaltung und den Jahresabschluss bestimmt wird, so wie es in der Bilanz erscheint. Art. 205ter ...