Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Mehrwertsteuer. Befreiungen. Begriffe ‚Gewährung von Krediten’ und ‚andere Handelspapiere’. Komplexe Umsätze. Hauptleistung. Überlassung von Geldmitteln gegen Entgelt. Übertragung eines Wechsels auf eine Factoringgesellschaft und Überweisung des erlangten Geldes an den Aussteller des Wechsels
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 135 Abs. 1 Buchst. b, d
Beteiligte
Ministarstvo financija Republike Hrvatske, Samostalni sektor za drugostupanjski upravni postupak |
Verfahrensgang
Upravni sud u Zagrebu (Verwaltungsgericht Zagreb) (Kroatien) (Beschluss vom 15.10.2019; ABl. EU 2020, Nr. C 27/23) |
Tenor
Art. 135 Abs. 1 Buchst. b und d der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass die Befreiung von der Mehrwertsteuer, die diese Bestimmungen für die Gewährung von Krediten bzw. für Umsätze im Geschäft mit anderen Handelspapieren vorsehen, für einen Umsatz gilt, der darin besteht, dass der Steuerpflichtige gegen Entgelt einem anderen Steuerpflichtigen Geldmittel überlässt, die er bei einer Factoringgesellschaft infolge der Übertragung eines vom zweiten Steuerpflichtigen ausgestellten Wechsels auf diese erhalten hat, wobei der erste Steuerpflichtige der Factoringgesellschaft die Begleichung dieser Wechselforderung zum Fälligkeitstermin garantiert.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Upravni sud u Zagrebu (Verwaltungsgericht Zagreb, Kroatien) mit Entscheidung vom 15. Oktober 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Oktober 2019, in dem Verfahren
FRANCK d.d., Zagreb
gegen
Ministarstvo financija Republike Hrvatske, Samostalni sektor za drugostupanjski upravni postupak
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Wahl sowie der Richter A. Kumin und F. Biltgen (Berichterstatter),
Generalanwalt: J. Richard de la Tour,
Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der FRANCK d.d., Zagreb, vertreten durch V. A. Batarelo, I. Dvojković, L. W. Vuchetich, T. Sadrić, M. K. Bohaček, I. B. Pavčić, F. Kraljičković und M. Opačak, odvjetnici,
- des Ministarstvo financija Republike Hrvatske, Samostalni sektor za drugostupanjski upravni postupak, vertreten durch N. Biloglav, D. Štimac und K. Tudek als Bevollmächtigte,
- der kroatischen Regierung, vertreten durch G. Vidović Mesarek, M. Gregurić und B. Domitrović als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Mataija, A. Armenia und N. Gossement als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 135 Abs. 1 Buchs. b und d der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der FRANCK d.d., Zagreb (im Folgenden: Franck) und dem Ministarstvo financija Republike Hrvatske, Samostalni sektor za drugostupanjski upravni postupak (Finanzministerium der Republik Kroatien, selbständige Abteilung für Verwaltungsverfahren in zweiter Instanz, im Folgenden: Finanzministerium) über die Festsetzung der Mehrwertsteuer, die aufgrund des Entgelts geschuldet wird, das Franck als Gegenleistung dafür erhalten hat, dass sie der Konzum d.d. (im Folgenden: Konzum) Geldmittel überließ, die sie von Factoringgesellschaften als Inhaberinnen von Wechseln erhielt, die Konzum ausgestellt hatte, wobei Franck die Begleichung der Wechselforderung garantierte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;
…
c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt;
…”
Rz. 4
Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:
„Als ‚Steuerpflichtiger’ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit’ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.”
Rz. 5
Art. 135 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
…
b) die Gewährung und Vermittlung von Krediten und die Verwaltung von Krediten durch die Kred...