Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollkodex, Aktiver Veredelungsverkehr, Vorzeitige Ausfuhr von Reis in ein Drittland, mit dem ein Zollpräferenzabkommen geschlossen worden ist, Nacherhebung von Einfuhrabgaben
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 216 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 geänderten Fassung ist auf diejenigen Vorgänge des aktiven Veredelungsverkehrs im Sinne von Art. 115 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung anwendbar, bei denen die Veredelungserzeugnisse vor der Einfuhr der Einfuhrwaren aus der Europäischen Gemeinschaft ausgeführt worden sind.
2. Wenn sich die zuständigen Behörden bei Beendigung eines Vorgangs des aktiven Veredelungsverkehrs (Nichterhebungsverfahren) mit Ersatz durch äquivalente Waren und vorzeitiger Ausfuhr der Befreiung der Ware mit Drittlandsursprung von den Einfuhrabgaben nicht aufgrund von Art. 216 der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 2700/2000 geänderten Fassung widersetzt haben, müssen sie von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung dieser Einfuhrabgaben gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex absehen, sofern drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Voraussetzung ist zunächst, dass die Abgaben wegen eines Irrtums der zuständigen Behörden nicht erhoben worden sind, sodann, dass dieser Irrtum von einem gutgläubigen Abgabenschuldner nicht erkannt werden konnte und schließlich, dass dieser alle für seine Zollerklärung geltenden Bestimmungen beachtet hat. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, anhand sämtlicher konkreter Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits und insbesondere der zu diesem Zweck von der Klägerin des Ausgangsverfahrens vorgelegten Beweise zu beurteilen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 216
Beteiligte
Agenzia Dogane Circoscrizione Doganale di Genova |
Verfahrensgang
Commissione tributaria di Genova (Italien) (Urteil vom 13.02.2006; Abl.EU 2006, Nr. C 143/25) |
Tatbestand
„Zollkodex der Gemeinschaft ‐ Aktiver Veredelungsverkehr ‐ Assoziierungsabkommen ‐ Vorzeitige Ausfuhr von Reis in ein Drittland, mit dem ein Zollpräferenzabkommen geschlossen worden ist ‐ Art. 216 des Zollkodex ‐ Nacherhebung der Einfuhrabgaben ‐ Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex“
In der Rechtssache C-173/06
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Commissione tributaria regionale di Genova (Italien) mit Entscheidung vom 13. Februar 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 3. April 2006, in dem Verfahren
Agrover Srl
gegen
Agenzia Dogane Circoscrizione Doganale di Genova
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter J. Klŭcka und A. Ó Caoimh, der Richterin P. Lindh (Berichterstatterin) und des Richters A. Arabadjiev,
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Februar 2007,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Agrover Srl, vertreten durch G. Leone, avvocato,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. Albenzio, avvocato dello Stato,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. Hottiaux und D. Recchia als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 7. Juni 2007
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 216 und 220 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000 (ABl. L 311, S. 17) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Anfechtungsklage der Agrover Srl (im Folgenden: Agrover) gegen den Zollerhebungsbescheid der Agenzia Dogane Circoscrizione Doganale di Genova (Zollamt Genua).
Rechtlicher Rahmen
3
Das Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Ungarn andererseits, unterzeichnet in Brüssel am 16. Dezember 1991, wurde durch den Beschluss 93/742/Euratom, EGKS, EG des Rates und der Kommission vom 13. Dezember 1993 (ABl. L 347, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaften genehmigt. Das Protokoll Nr. 4 zu diesem Abkommen über die Bestimmung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in“ oder „Ursprungserzeugnisse“ und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen in der durch den Beschluss Nr. 3/96 des Assoziationsrates, Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Ungarn andererseits vom 28. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 92, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Protokoll Nr. 4) enthält...