Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerbefreiung für Pooling-Leistungen, Beschränkung der Steuerbefreiung auf Gemeinwohltätigkeiten

 

Leitsatz (amtlich)

Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass die darin vorgesehene Befreiung nur die selbständigen Zusammenschlüsse von Personen betrifft, deren Mitglieder eine in Art. 132 dieser Richtlinie genannte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit ausüben, und dass daher die Dienstleistungen von selbständigen Zusammenschlüssen von Personen, deren Mitglieder eine wirtschaftliche Tätigkeit im Versicherungswesen ausüben, die keine solche dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit darstellt, nicht unter diese Befreiung fallen.

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. f

 

Beteiligte

Aviva

Minister Finansów

Aviva Towarzystwo Ubezpieczen na Zycie S.A. w Warszawie

 

Verfahrensgang

Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) (Beschluss vom 26.08.2015; ABl. EU 2016, Nr. C 90/4)

 

Tatbestand

„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Steuerwesen ‐ Mehrwertsteuer ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 132 Abs. 1 Buchst. f ‐ Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten ‐ Befreiung von Dienstleistungen, die selbständige Zusammenschlüsse von Personen an ihre Mitglieder erbringen ‐ Anwendbarkeit auf das Versicherungswesen“

In der Rechtssache C-605/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) mit Entscheidung vom 26. August 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 17. November 2015, in dem Verfahren

Minister Finansów

gegen

Aviva Towarzystwo Ubezpieczeń na Życie S.A. w Warszawie

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richter E. Juhász und C. Vajda (Berichterstatter), der Richterin K. Jürimäe sowie des Richters C. Lycourgos,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‐ des Minister Finansów, vertreten durch T. Tratkiewicz, L. Pyszyński und B. Rogowska-Rajda als Bevollmächtigte,

‐ der Aviva Towarzystwo Ubezpieczeń na Życie S.A. w Warszawie, vertreten durch J. Martini, doradca podatkowy,

‐ der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und B. Majerczyk-Graczykowska als Bevollmächtigte,

‐ der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,

‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und M. Noort als Bevollmächtigte,

‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch D. Robertson und S. Simmons als Bevollmächtigte im Beistand von O. Thomas, QC,

‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 1. März 2017

folgendes

Urteil

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Minister Finansów (Finanzminister, Polen) und der Aviva Towarzystwo Ubezpieczeń na Życie S.A. w Warszawie (im Folgenden: Aviva) wegen einer Einzelfallentscheidung an Letztere über die Auslegung des Art. 43 Abs. 1 Nr. 21 des Ustawa o podatku od towarów i usług (Gesetz über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen) vom 11. März 2004 (Dz. U. Nr. 54, Pos. 535, im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz), mit dem Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 umgesetzt wird.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Sechste Richtlinie

Rz. 3

Die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2007 durch die Richtlinie 2006/112 aufgehoben und ersetzt. Art. 13 der Sechsten Richtlinie bestimmte:

„A. Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten

(1) Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

f) die Dienstleistungen, die die selbständigen Zusammenschlüsse von Personen, die eine Tätigkeit ausüben, die von der Steuer befreit ist, oder für die sie nicht Steuerpflichtige sind, an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke der Ausübung dieser Tätigkeit erbringen, soweit diese Zusammenschlüsse von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordern, voraus...

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