Entscheidungsstichwort (Thema)
Organschaft, Ausschluss grenzüberschreitender Konzerne, Abzug von Darlehenszinsen, Abzug von Währungsverlusten, Betriebsausgaben
Leitsatz (amtlich)
1. Die Art. 49 und 54 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach eine in einem Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft Zinsen eines bei einem verbundenen Unternehmen aufgenommenen Darlehens zur Finanzierung einer Kapitaleinlage in eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Tochtergesellschaft nicht abziehen darf, während ihr, wenn die Tochtergesellschaft im selben Mitgliedstaat ansässig wäre, der Abzug durch die Bildung einer steuerlichen Einheit mit dieser Gesellschaft möglich wäre.
2. Die Art. 49 und 54 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, wonach eine in einem Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft durch Wechselkursschwankungen bedingte Wertverluste ihrer Beteiligung an einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft nicht von ihren Gewinnen abziehen darf, wenn nach dieser Regelung durch Wechselkursschwankungen bedingte Wertsteigerungen entsprechend auch nicht besteuert werden.
Normenkette
AEUV Art. 49, 54
Beteiligte
Staatssecretaris van Financiën |
Verfahrensgang
Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) (Beschluss vom 08.07.2016; Abl.EU 2016, Nr. C 371/4) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Art. 49 und 54 AEUV ‐ Niederlassungsfreiheit ‐ Steuergesetzgebung ‐ Körperschaftsteuer ‐ Mit der Bildung einer steuerlichen Einheit verbundene Vorteile ‐ Ausschluss grenzüberschreitender Konzerne“
In den verbundenen Rechtssachen C-398/16 und C-399/16
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) mit Entscheidungen vom 8. Juli 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Juli 2016, in den Rechtssachen
X BV (C-398/16),
X NV (C-399/16)
gegen
Staatssecretaris van Financiën,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter C. G. Fernlund, J.-C. Bonichot (Berichterstatter), A. Arabadjiev und S. Rodin,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der X BV und der X NV, vertreten durch M. Sanders, advocaat,
‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, M. H. S. Gijzen und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und N. Gossement als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Oktober 2017
folgendes
Urteil
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 49 und 54 AEUV.
Rz. 2
Sie ergehen im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen der X BV bzw. der X NV und dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär für Finanzen, Niederlande) (im Folgenden: Steuerbehörde) über die steuerliche Absetzbarkeit von Darlehenszinsen (X BV) bzw. von Währungsverlusten (X NV).
Niederländisches Recht
Rz. 3
Art. 10a der Wet op de vennootschapsbelasting 1969 (Körperschaftsteuergesetz 1969, im Folgenden: KStG) lautet:
,,…
2. Bei der Gewinnermittlung … sind Zinsen ‐ einschließlich Aufwendungen und Währungsergebnissen ‐ nicht abzugsfähig, die ein rechtlich oder tatsächlich, unmittelbar oder mittelbar einem verbundenen Unternehmen oder einer verbundenen natürlichen Person geschuldetes Darlehen betreffen, wenn das Darlehen mit einer der folgenden Rechtshandlungen zusammenhängt:
a. …
b. Erwerb von ‐ einschließlich Einzahlungen auf ‐ Anteilen, Genussscheinen, Anteilsscheinen, Mitgliedsrechten oder beim Schuldner faktisch als Eigenvermögen im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d funktionierende Forderungen eines verbundenen Unternehmens, es sei denn, es wird eine Änderung an den endgültigen Beteiligungs- oder Kontrollverhältnissen in diesem Unternehmen vorgenommen; …
3. Abs. 2 findet keine Anwendung, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass:
a. dem Darlehen und der damit zusammenhängenden Rechtshandlung überwiegend wirtschaftliche Erwägungen zugrunde liegen oder
b. von den Zinsen bei der Person, der die Zinsen rechtlich oder tatsächlich, unmittelbar oder mittelbar geschuldet sind, letztlich eine nach niederländischen Maßstäben angemessene Gewinn- oder Einkommensteuer erhoben wird und weder Verluste noch andere Forderungen aus den Jahren vor dem Jahr der Darlehensaufnahme mit der Folge verrechnet werden, dass letztlich nach den genannten angemessenen Maßstäben auf die Zinsen keine Steuer geschuldet ist, außer wenn anzunehmen ist, dass das Darlehen zur Verrechnung von Verlusten oder anderen Forderungen aufgenommen wurde, die im selben Jahr entstanden sind oder kurzfristig entstehen werden.“
Rz. 4
Art. 13 Abs. 1 KStG sieht vor:
„Bei der Gewinnermittlung bleiben die Vorteile aus einer Beteili...