Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Steuerwesen. Gemeinsames Mehrwertsteuersystem. Möglichkeit der Mitgliedstaaten, auf bestimmte Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen einen oder zwei ermäßigte Mehrwertsteuersätze anzuwenden. Einstufung einer Geschäftstätigkeit als ‚Dienstleistung’ -Begriff ‚Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen’. Mahlzeiten zum sofortigen Verzehr vor Ort in den Geschäftsräumen des Verkäufers oder in einem Gastronomiebereich. Mitnahmemahlzeiten zum sofortigen Verzehr
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 98 Abs. 2; EUV 282/2011 Art. 6; EGRL 112/2006 Anhang III Nr. 12a
Beteiligte
Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach |
Verfahrensgang
Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) (Beschluss vom 06.06.2019; ABl. EU 2020, Nr. C 27/14) |
Tenor
Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2009/47/EG des Rates vom 5. Mai 2009 geänderten Fassung in Verbindung mit deren Anhang III Nr. 12a und Art. 6 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass die Abgabe von Speisen unter den Begriff „Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen” fällt, wenn sie mit ausreichenden unterstützenden Dienstleistungen einhergeht, die deren sofortigen Verzehr durch den Endkunden ermöglichen sollen, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist. Entscheidet sich der Endkunde dafür, die materiellen und personellen Mittel, die ihm vom Steuerpflichtigen neben dem Verzehr der bereitgestellten Speisen angeboten werden, nicht in Anspruch zu nehmen, so ist davon auszugehen, dass keine unterstützende Dienstleistung mit der Abgabe dieser Speisen einhergeht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sad Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) mit Entscheidung vom 6. Juni 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 24. September 2019, in dem Verfahren
J.K.
gegen
Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach,
Beteiligter:
Rzecznik Małych i Srednich Przedsiebiorców,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen (Berichterstatter),
Generalanwalt: J. Richard de la Tour,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von J.K., vertreten durch R. Baraniewicz, doradca podatkowy, und A. Zubik, radca prawny,
- des Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, vertreten durch P. Selera, B. Kołodziej, T. Wojciechowski und M. Kowalewska,
- des Rzecznik Małych i Srednich Przedsiebiorców, vertreten durch P. Chrupek und A. Zareba-Faracik, radcowie prawni,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaite und M. Siekierzynska als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. November 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2009/47/EG des Rates vom 5. Mai 2009 (ABl. 2009, L 116, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) in Verbindung mit Anhang III Nr. 12a der Mehrwertsteuerrichtlinie und Art. 6 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112 (ABl. 2011, L 77, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen J.K. und dem Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach (Direktor der Finanzverwaltungskammer Katowice, Polen) (im Folgenden: Steuerbehörde) über die Ergebnisse einer im Jahr 2016 durchgeführten Steuerprüfung hinsichtlich des Mehrwertsteuersatzes auf Umsätze aus Verkäufen von Speisen und Mahlzeiten, die sofort verzehrt oder mitgenommen werden, für die J.K. mehrwertsteuerpflichtig ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Mehrwertsteuerrichtlinie
Rz. 3
Art. 96 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.”
Rz. 4
Art. 98 dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.
(2) Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.
…
(3) Zur Anwendung der ermäßigten Steuersätze im Sinne des Absatzes 1 auf Kategorien von Gegenständen können die Mitgliedstaaten die betreffenden Kategorien anh...