Entscheidungsstichwort (Thema)

Benelux-Übereinkommen zu Rechtshilfe in Steuersachen, Einkommensteuerhinterziehung, Verwertungsverbot, Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel, Unzulässigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens

 

Normenkette

EUGrdRCh Art. 47

 

Beteiligte

IN und JM

IN

JM

Belgische Staat

 

Verfahrensgang

Hof van Cassatie (Belgien) (Beschluss vom 28.06.2018; ABl. EU 2018 Nr. C 427/4)

 

Tenor

Die vom Hof van Cassatie (Kassationshof, Belgien) mit Entscheidungen vom 28. Juni 2018 eingereichten Vorabentscheidungsersuchen sind unzulässig.

 

Tatbestand

In den verbundenen Rechtssachen

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hof van Cassatie (Kassationshof, Belgien) mit Entscheidung vom 28. Juni 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Juli 2018, in den Verfahren

IN (C-469/18),

JM (C-470/18)

gegen

Belgische Staat

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis (Berichterstatter), E. Juhász, M. Ilešič und C. Lycourgos,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von IN und JM, vertreten durch J. Verbist, advocaat,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch J.-C. Halleux, P. Cottin und C. Pochet als Bevollmächtigte im Beistand von W. van Eeckhoutte, advocaat,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Hoogveld als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Krämer und W. Roels als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. Juli 2019

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen IN (Rechtssache C-469/18) bzw. JM (Rechtssache C-470/18) und dem Belgische Staat (Belgischer Staat) über von der belgischen Finanzverwaltung erlassene Steuerbescheide zur Berichtigung ihrer Steuererklärungen als natürliche Personen für die Steuerjahre 1997 und 1998.

Völkerrecht

Rz. 3

Art. 20 des am 27. Juni 1962 in Brüssel unterzeichneten Übereinkommens zwischen dem Königreich Belgien, dem Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich Niederlande über die Auslieferung und Rechtshilfe in Strafsachen sieht vor:

  1. „Auf Ersuchen der ersuchenden Partei beschlagnahmt die ersuchte Partei, sofern dies nach innerstaatlichem Recht zulässig ist, Gegenstände, die

    1. als Beweismittel dienen können,
    2. durch die Straftat erlangt und vor oder nach der Übergabe der verhafteten Person gefunden wurden,

    und gibt sie heraus.

  2. Die Herausgabe darf nur mit Genehmigung der Ratskammer des erstinstanzlichen Gerichts erfolgen, in dessen Bezirk die Durchsuchung und die Beschlagnahme stattgefunden haben. Die Ratskammer entscheidet, ob die beschlagnahmten Gegenstände ganz oder teilweise an die ersuchende Partei herausgegeben werden. Sie kann die Rückgabe von Gegenständen anordnen, die nicht unmittelbar mit der Tat, die der verdächtigen Person zur Last gelegt wird, in Beziehung stehen, und entscheidet gegebenenfalls über Einwendungen Dritter, die den Gegenstand in Besitz hatten, oder sonstiger Berechtigter.

…”

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Rz. 4

Die Sachverhalte der beiden Ausgangsverfahren entsprechen sich in den Rechtssachen C-469/18 und C-470/18. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen.

Rz. 5

Bei den Klägern der Ausgangsverfahren handelt es sich um Geschäftsführer von Handels- und Vertriebsunternehmen für Computer und Computerzubehör. Gegen diese Unternehmen wurden im Jahr 1996 nach einer Beschwerde der belgischen Finanzverwaltung im Zusammenhang mit einer 1995 durchgeführten Untersuchung von Fällen des Mehrwertsteuer-Karussellbetrugs strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet.

Rz. 6

Im Zuge dieser Ermittlungen wurde in Luxemburg einem Rechtshilfeersuchen entsprochen, in dessen Rahmen der Direktor einer luxemburgischen Bank bei seiner Vernehmung durch einen luxemburgischen Untersuchungsrichter in Anwesenheit von dessen belgischem Kollegen Bankunterlagen aushändigte, die die Kläger der Ausgangsverfahren betrafen. Diese Herausgabe erfolgte jedoch, ohne dass die nach Art. 20 des Übereinkommens zwischen dem Königreich Belgien, dem Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich der Niederlande über die Auslieferung und Rechtshilfe in Strafsachen erforderliche Genehmigung der Ratskammer des Gerichts, in dessen Bezirk die Durchsuchung und die Beschlagnahmung stattfanden, d. h. der Ratskammer des Tribunal d'arrondissement de Luxembourg (Bezirksgericht Luxemburg), eingeholt worden wäre.

Rz. 7

Die belgische Finanzverwaltung erließ, nachdem ihr Einsicht in die Strafakte gewährt und die Anfertigung einer Kopie gestattet worden war, Bescheide zur Berichtigung der von den Klägern der Ausgangsverfahren abge...

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