Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerbarkeit

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 16 Abs. 1, Art. 74

 

Beteiligte

Finanzamt X

Finanzamt X

Y-KG

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 22.11.2022; Aktenzeichen XI R 17/20; BStBl II 2023, 601)

 

Tenor

1. Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem

ist dahin auszulegen, dass

es sich um eine einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellte Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen als unentgeltliche Zuwendung im Sinne dieser Bestimmung handelt, wenn der Steuerpflichtige von ihm erzeugte Wärme unentgeltlich an andere Steuerpflichtige für deren wirtschaftliche Tätigkeit abgibt, wobei es hierfür nicht darauf ankommt, ob diese anderen Steuerpflichtigen die Wärme für Zwecke verwenden, die sie zum Vorsteuerabzug berechtigen.

2. Art. 74 der Richtlinie 2006/112

ist dahin auszulegen, dass

der Selbstkostenpreis im Sinne dieser Bestimmung nicht nur die unmittelbaren Herstellungs- oder Erzeugungskosten umfasst, sondern auch mittelbar zurechenbare Kosten wie Finanzierungsaufwendungen, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um vorsteuerbelastete Kosten handelt oder nicht.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 22. November 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 29. März 2023, in dem Verfahren

Finanzamt X

gegen

Y KG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter P. G. Xuereb (Berichterstatter) und A. Kumin,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Y KG, vertreten durch Rechtsanwalt T. Streit und Rechtsanwältin A. Zawatson,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und N. Scheffel als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Behre und J. Jokubauskaitė als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 16 und 74 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Y KG und dem Finanzamt X (Deutschland) über die Erhebung von Mehrwertsteuer auf unentgeltliche Wärmelieferungen aus dem Blockheizkraftwerk, das an die Biogasanlage der Y KG angeschlossen ist, zum einen an den Unternehmer A zur Trocknung von Holz und zum anderen an die Gesellschaft B zum Beheizen ihrer Spargelfelder.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;

…”

Rz. 4

Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Als ‚Lieferung von Gegenständen’ gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.”

Rz. 5

Art. 15 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Einem körperlichen Gegenstand gleichgestellt sind Elektrizität, Gas, Wärme, Kälte und ähnliche Sachen.”

Rz. 6

In Art. 16 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:

„Einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellt ist die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen privaten Bedarf oder für den Bedarf seines Personals oder als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben.

Jedoch werden einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt nicht gleichgestellt Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und für Warenmuster für die Zwecke des Unternehmens.”

Rz. 7

Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.”

Rz. 8

Art. 74 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Bei den in den Artikeln 16 und 18 genannten Umsätzen in Form der Entnahme oder der Zuordnung eines Gegenstands des Unternehmens durch einen Steuerpflichtigen oder beim Besitz von Gegenständen durch einen Steuerpflichtigen oder seine Rechtsnachfolger im Fall der Aufgabe seiner steuerbaren wirtschaftlichen Tätigkeit ist die Steuerbemessungsgrundlage der Einkaufspreis für diese oder gleichar...

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