Entscheidungsstichwort (Thema)
Reiseleistungen, Margenbesteuerung, Eigenleistungen des Reiseveranstalters, Beförderungsleistungen, Steuersatz
Leitsatz (amtlich)
Die Art. 306 bis 310 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass die eigene Beförderungsleistung eines Reisebüros, die dieses einem Reisenden im Rahmen einer nach diesen Vorschriften besteuerten Pauschalreiseleistung als einen der Bestandteile dieser Reiseleistung erbringt, insbesondere hinsichtlich des Steuersatzes der allgemeinen Mehrwertsteuerregelung und nicht der Mehrwertsteuer-Sonderregelung für die Umsätze von Reisebüros unterliegt. Haben die Mitgliedstaaten für Beförderungsleistungen einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz vorgesehen, findet auf die genannte Leistung nach Art. 98 dieser Richtlinie der ermäßigte Satz Anwendung.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 306-310
Beteiligte
Dyrektor Izby Skarbowej w Lublinie |
Verfahrensgang
Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) (Urteil vom 31.08.2011; ABl. EU 2012, Nr. C 25/63) |
Tatbestand
„Mehrwertsteuer ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 306 bis 310 ‐ Sonderregelung für Reisebüros ‐ Von einem Reisebüro in eigenem Namen ausgeführte Beförderungsleistung ‐ Begriff der einheitlichen Leistung ‐ Art. 98 ‐ Ermäßigter Mehrwertsteuersatz“
In der Rechtssache C-557/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Polen) mit Entscheidung vom 31. August 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 4. November 2011, in dem Verfahren
Maria Kozak
gegen
Dyrektor Izby Skarbowej w Lublinie
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung der Richter A. Rosas in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer, U. Lõhmus und C. G. Fernlund (Berichterstatter),
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ von M. Kozak, vertreten durch A. Bartosiewicz und R. Kamiński, doradcy podatkowi,
‐ der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar und B. Majczyna als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und K. Herrmann als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 98 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) in Verbindung mit ihrem Anhang III und der Art. 306 bis 310 dieser Richtlinie.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Kozak und dem Dyrektor Izby Skarbowej w Lublinie (Direktor der Finanzkammer Lublin) wegen einer Entscheidung über die Berechnung der Mehrwertsteuer für ihre Reisebürotätigkeit.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 98 in Titel VIII Kapitel 2 Abschnitt 2 („Ermäßigte Steuersätze“) der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.
(2) Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.
…“
Rz. 4
In Anhang III („Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze gemäß Artikel 98 angewendet werden können“) der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„…
5. Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks;
…“
Rz. 5
Die Art. 306 bis 310 in Titel XII Kapitel 3 („Sonderregelung für Reisebüros“) der Mehrwertsteuerrichtlinie lauten:
„Artikel 306
(1) Die Mitgliedstaaten wenden auf Umsätze von Reisebüros die Mehrwertsteuer-Sonderregelung dieses Kapitels an, soweit die Reisebüros gegenüber dem Reisenden in eigenem Namen auftreten und zur Durchführung der Reise Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen.
…
(2) Für die Zwecke dieses Kapitels gelten Reiseveranstalter als Reisebüro.
Artikel 307
Die zur Durchführung der Reise vom Reisebüro unter den Voraussetzungen des Artikels 306 bewirkten Umsätze gelten als eine einheitliche Dienstleistung des Reisebüros an den Reisenden.
Die einheitliche Dienstleistung wird in dem Mitgliedstaat besteuert, in dem das Reisebüro den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus es die Dienstleistung erbracht hat.
Artikel 308
Für die von dem Reisebüro erbrachte einheitliche Dienstleistung gilt als Steuerbemessungsgrundlage und als Preis ohne Mehrwertsteuer im Sinne des Artikels 226 Nummer 8 die Marge des Reisebüros, das heißt die Differenz zwischen dem vom Reisenden zu zahlenden Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer und den tatsächlichen Kosten, die dem Reisebüro für die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger entstehen, soweit diese Umsätze dem Reisenden unmittelbar zugute ...