Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtsgebühren fallen nicht in den Anwendungsbereich des EU-Privilegienprotokolls
Leitsatz (amtlich)
1. Gebühren wie die Eintragungsgebühren, die infolge von Urteilen nationaler Gerichte, mit denen eine Verurteilung zur Zahlung von Geldbeträgen oder eine Liquidation von Wertpapieren ausgesprochen wird, zu entrichten sind, stellen nicht lediglich die Vergütung für Leistungen gemeinnütziger Versorgungsbetriebe im Sinne von Artikel 3 Absatz 3 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften dar.
2. Artikel 3 Absatz 2 dieses Protokolls ist dahin auszulegen, dass Gebühren wie die Eintragungsgebühren, die infolge von Urteilen nationaler Gerichte, mit denen eine Verurteilung zur Zahlung von Geldbeträgen oder eine Liquidation von Wertpapieren ausgesprochen wird, zu entrichten sind, nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen.
Normenkette
EU-Privilegienprotokoll Art. 3 Abs. 2
Beteiligte
Verfahrensgang
Cour d' appel de Bruxelles (Belgien) (Urteil vom 28.04.2005; Abl.EU 2005, Nr. C 182/26) |
Tatbestand
„Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften ‐ Artikel 3 ‐ Indirekte Steuern ‐ Entscheidungen nationaler Gerichte ‐ Eintragungsgebühren“
In der Rechtssache C-199/05
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Cour d’appel de Bruxelles (Belgien) mit Entscheidung vom 28. April 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Mai 2005, in dem Verfahren
Europäische Gemeinschaft
gegen
Belgischer Staat
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann und A. Rosas, der Richter R. Schintgen, P. Kũris, E. Juhász (Berichterstatter), J. Klŭcka, K. Schiemann, J. Makarczyk, U. Lõhmus und E. Levits,
Generalanwältin: C. Stix-Hackl,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch E. Dominkovits und M. Wimmer als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von A. Cingolo, avvocato dello Stato,
‐ des Rates der Europäischen Union, vertreten durch A. Vitro als Bevollmächtigten,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J.-F. Pasquier und I. Martínez del Peral als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 27. April 2006
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 3 Absätze 2 und 3 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften, das ursprünglich dem am 8. April 1965 unterzeichneten Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften beigefügt war und sodann durch den Vertrag von Amsterdam dem EG-Vertrag beigefügt wurde (im Folgenden: Protokoll).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Europäischen Gemeinschaft, vertreten durch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, und dem Belgischen Staat wegen der Einziehung von Eintragungsgebühren, die infolge von Urteilen der nationalen Gerichte zu entrichten sind, mit denen eine Verurteilung zur Zahlung von Geldbeträgen oder eine Liquidation von Wertpapieren ausgesprochen wird (im Folgenden: Eintragungsgebühren).
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Gemäß Artikel 28 Absatz 1 des Vertrages zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften und jetzt, nach Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam, gemäß Artikel 291 EG genießt die Gemeinschaft im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten die zur Erfüllung ihrer Aufgabe erforderlichen Vorrechte und Befreiungen nach Maßgabe des Protokolls.
4
Artikel 3 des Protokolls lautet:
„Die Gemeinschaften, ihre Guthaben, Einkünfte und sonstigen Vermögensgegenstände sind von jeder direkten Steuer befreit.
Die Regierungen der Mitgliedstaaten treffen in allen Fällen, in denen es ihnen möglich ist, geeignete Maßnahmen für den Erlass oder die Erstattung des Betrages der indirekten Steuern und Verkaufsabgaben, die in den Preisen für bewegliche oder unbewegliche Güter inbegriffen sind, wenn die Gemeinschaften für ihren Dienstbedarf größere Einkäufe tätigen, bei denen derartige Steuern und Abgaben im Preis enthalten sind. Die Durchführung dieser Maßnahmen darf jedoch den Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaften nicht verfälschen.
Von den Abgaben, die lediglich die Vergütung für Leistungen gemeinnütziger Versorgungsbetriebe darstellen, wird keine Befreiung gewährt.“
Nationales Recht
5
Artikel 35 Absatz 3 des belgischen Code des droits d’enregistrement, d’hypothèque et de greffe (Gesetzbuch über Eintragungs-, Hypotheken- und Kanzleigebühren) hat folgenden Wortlaut:
„Die Verpflichtung zur Zahlung der Gebühren, die aufgr...