Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 138 Abs. 1
Beteiligte
Odvolací finanční ředitelství |
Verfahrensgang
Nejvyšší správní soud (Tschechien) (Beschluss vom 26.10.2022; ABl. EU 2023, Nr. C 45/7) |
Tenor
Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
ist dahin auszulegen, dass
einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Lieferer, der Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat geliefert hat, die Befreiung von der Mehrwertsteuer zu versagen ist, wenn dieser Lieferer nicht nachgewiesen hat, dass die Gegenstände an einen in dem letztgenannten Mitgliedstaat steuerpflichtigen Empfänger geliefert wurden, und – unter Berücksichtigung des Sachverhalts und der vom Lieferer vorgelegten Nachweise – die für die Überprüfung der Steuerpflichtigkeit des Empfängers erforderlichen Informationen fehlen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 26. Oktober 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 2. November 2022, in dem Verfahren
B2 Energy s.r.o.
gegen
Odvolací finanční ředitelství
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten Z. Csehi (Berichterstatter) sowie der Richter I. Jarukaitis und D. Gratsias,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Oktober 2023,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Odvolací finanční ředitelství, vertreten durch T. Měkýš und T. Rozehnal,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, L. Březinová, O. Serdula und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und M. Salyková als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 138 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der B2 Energy s.r.o. und dem Odvolací finanční ředitelství (Einspruchsfinanzdirektion, Tschechische Republik) (im Folgenden: Finanzdirektion) wegen der Weigerung der Steuerbehörden, mehrere von dieser Gesellschaft bewirkte innergemeinschaftliche Lieferungen von der Mehrwertsteuer zu befreien.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Mehrwertsteuerrichtlinie
Rz. 3
Art. 131 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Die Steuerbefreiungen der Kapitel 2 bis 9 werden unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen.”
Rz. 4
Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten befreien die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der [Europäischen] Gemeinschaft versandt oder befördert werden[,] von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.”
Rz. 5
Art. 139 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Die Steuerbefreiung nach Artikel 138 Absatz 1 gilt nicht für die Lieferungen von Gegenständen durch Steuerpflichtige, die unter die Steuerbefreiung für Kleinunternehmen nach Maßgabe der Artikel 282 bis 292 fallen.
Ferner gilt die Steuerbefreiung nicht für die Lieferungen von Gegenständen an Steuerpflichtige oder nichtsteuerpflichtige juristische Personen, deren innergemeinschaftliche Erwerbe von Gegenständen gemäß Artikel 3 Absatz 1 nicht der Mehrwertsteuer unterliegen.”
Verordnung (EU) Nr. 904/2010
Rz. 6
Im siebten Erwägungsgrund der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7. Oktober 2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (ABl. 2010, L 268, S. 1) heißt es:
„Für die Erhebung der geschuldeten Steuer sollten die Mitgliedstaaten kooperieren, um die richtige Festsetzung der Mehrwertsteuer sicherzustellen. Daher müssen sie nicht nur die richtige Erhebung der geschuldeten Steuer in ihrem eigenen Hoheitsgebiet kontrollieren, sondern sollten auch anderen Mitgliedstaaten Amtshilfe gewähren, um die richtige Erhebung der Steuer sicherzustellen, die im Zusammenhang mit einer in ihrem Hoheitsgebiet erfolgten Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat geschuldet wird.”
Tschechisches Recht
Rz. 7
Nach § 92 Abs. 3 de...