Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Europäischer Haftbefehl. Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten. Vollstreckungsvoraussetzungen. Zuständigkeit der ausstellenden Justizbehörde. Recht auf Zugang zu einem zuvor durch Gesetz errichteten Gericht. Möglichkeit der Ausstellung eines neuen Europäischen Haftbefehls, der gegen dieselbe Person gerichtet ist

 

Normenkette

Rahmenbeschluss 2002/584/JI; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47 Abs. 2

 

Beteiligte

Puig Gordi u.a

Lluís Puig Gordi

Carles Puigdemont Casamajó

Antoni Comín Oliveres

Clara Ponsatí Obiols

Meritxell Serret Aleu

Marta Rovira Vergés

Anna Gabriel Sabaté

 

Tenor

1. Der Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung

ist dahin auszulegen, dass

eine vollstreckende Justizbehörde nicht befugt ist, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls unter Berufung auf einen Ablehnungsgrund abzulehnen, der nicht aus diesem Rahmenbeschluss, sondern nur aus dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats hervorgeht. Eine solche Justizbehörde kann aber eine nationale Bestimmung anwenden, die vorsieht, dass die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abgelehnt wird, wenn diese Vollstreckung zu einer Verletzung eines im Unionsrecht niedergelegten Grundrechts führen würde, sofern die Tragweite dieser Bestimmung nicht über die von Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in geänderter Fassung in der Auslegung durch den Gerichtshof hinausgeht.

2. Art. 1 Abs. 1 und 2 sowie Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung

sind dahin auszulegen, dass

dass die vollstreckende Justizbehörde nicht überprüfen darf, ob ein Europäischer Haftbefehl von einer dafür zuständigen Justizbehörde ausgestellt wurde, und die Vollstreckung dieses Europäischen Haftbefehls nicht ablehnen darf, wenn dies ihres Erachtens nicht der Fall ist.

3. Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung ist in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen, dass

die vollstreckende Justizbehörde, die über die Übergabe einer Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl besteht, zu entscheiden hat, dessen Vollstreckung nicht mit der Begründung ablehnen darf, dass diese Person nach ihrer Übergabe an den Ausstellungsmitgliedstaat Gefahr läuft, dass ein Gericht über sie Recht spricht, das dafür nicht zuständig ist, außer wenn

  • diese Justizbehörde zum einen im Hinblick auf das Erfordernis eines durch Gesetz errichteten Gerichts über objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer oder allgemeiner Mängel in Bezug auf das Funktionieren des Justizsystems des Ausstellungsmitgliedstaats oder von Mängeln verfügt, die den gerichtlichen Schutz einer objektiv identifizierbaren Gruppe von Personen beeinträchtigen, zu der auch die betreffende Person gehört, die zur Folge haben, dass den betreffenden Rechtssuchenden in diesem Mitgliedstaat im Allgemeinen kein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung steht, mit dem die Zuständigkeit des Strafgerichts, das über sie Recht zu sprechen hat, überprüft werden kann, und
  • diese Justizbehörde zum anderen feststellt, dass es unter den besonderen Umständen der in Rede stehenden Rechtssache ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass insbesondere unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Situation, der Art der strafverfolgungsbegründenden Straftat und des der Ausstellung dieses Haftbefehls zugrunde liegenden Sachverhalts oder jedes anderen maßgeblichen Umstands das Gericht, das wahrscheinlich in dem Verfahren, das gegen diese Person im Ausstellungsmitgliedstaat geführt werden wird, zu entscheiden hat, offensichtlich nicht dafür zuständig ist.

Dass sich die betreffende Person vor den Gerichten des Ausstellungsmitgliedstaats auf ihre Grundrechte berufen konnte, um die Zuständigkeit der ausstellenden Justizbehörde und den Europäischen Haftbefehl, der gegen sie erlassen wurde, anzufechten, ist insoweit nicht ausschlaggebend.

4. Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung ist in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte

dahin auszulegen, dass

in einer Situation, in der eine Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl besteht, geltend macht, dass sie nach ihrer Übergabe an den Ausstellungsmitgliedstaat Gefahr laufe, dass ein Gericht über sie Recht spreche, das dafür nicht zuständig sei, das Vorliegen eines Berichts der Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen, der nicht unmittelbar die Situation dieser Person betrifft, es für sich allein genommen nicht r...

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