Leitsatz
Dem EuGH werden nach Art. 234 EG folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG vorgelegt:
1. Sind Art. 9 Abs. 2 Buchst. e fünfter Gedankenstrich und Art. 13 Teil B Buchst. a, Buchst. d Nrn. 2 und 3 der 6. EG-RL dahingehend auszulegen, dass die gegen einen vom Erwerber zu entrichtenden Kaufpreis erfolgende Übernahme eines Lebensrückversicherungsvertrags, auf dessen Grundlage der Erwerber des Vertrags die durch den bisherigen Versicherer ausgeübte steuerfreie Rückversicherungstätigkeit mit Zustimmung des Versicherungsnehmers übernimmt und nunmehr anstelle des bisherigen Versicherers steuerfreie Rückversicherungsleistungen gegenüber dem Versicherungsnehmer erbringt,
- als Versicherungs- oder Bankumsatz i.S.v. Art. 9 Abs. 2 Buchst. e fünfter Gedankenstrich der 6. EG-RL oder
- als Rückversicherungsumsatz nach Art. 13 Teil B Buchst. a der 6. EG-RL oder
- als Umsatz, der im Wesentlichen aus der steuerfreien Übernahme einer Verbindlichkeit einerseits und aus einem steuerfreien Umsatz im Geschäft mit Forderungen andererseits besteht, nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nrn. 2 und 3 der 6. EG-RL
anzusehen ist?
2. Ändert sich die Antwort auf die Frage 1, wenn nicht der Erwerber, sondern der bisherige Versicherer ein Entgelt für die Übertragung entrichtet?
3. Falls die Frage 1 Buchst. a, b und c zu verneinen ist: Ist Art. 13 Teil B Buchst. c der 6. EG-RL dahingehend auszulegen, dass
Normenkette
Art. 9 Abs. 2 Buchst. e fünfter Gedankenstrich, Art. 13 Teil B Buchst. a, Buchst. c, Buchst. d Nrn. 2 und 3 der 6. EG-RL, § 3 Abs. 1 und 9, § 3a, § 4 Nr. 8 Buchst. c und g, § 4 Nr. 10 Buchst. a, § 4 Nr. 28 UStG
Sachverhalt
Die im Inland ansässige Versicherung (AG) übertrug im Jahr 2002 insgesamt 163 Lebensrückversicherungsverträge auf ein in der Schweiz ansässiges Versicherungsunternehmen S. Die Versicherungsnehmer waren entweder im übrigen Gemeinschaftsgebiet oder im Drittlandsgebiet ansässig. Bei der Ermittlung des Kaufpreises, den S zu entrichten hatte, war für 20 der insgesamt 163 Rückversicherungsverträge ein negativer Wert angesetzt und mit den positiven Beträgen für die anderen Verträge verrechnet worden.
Das FA sah die Übertragung der Lebensrückversicherungsverträge als eine steuerpflichtige Lieferung eines Gegenstands an.
Die Klage hatte keinen Erfolg (FG München, Urteil vom 22.03.2006, 3 K 4633/02, Haufe-Index 1508796, EFG 2006, 1202). Das FG nahm wie das FA eine Lieferung an. Diese sei nicht nach § 4 Nr. 28 UStG steuerfrei, weil der gelieferte Gegenstand nicht für steuerfreie, sondern für nicht steuerbare Tätigkeiten verwendet worden sei, da der Ort der Leistung im Ausland liege (§ 3a Abs. 4 Nr. 6a i.V.m. § 3a Abs. 3 UStG).
Entscheidung
Der BFH hat gem. Art. 234 EG dem EUGH die aus dem Leitsatz ersichtlichen Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Hinweis
1. Die Entscheidung, wie die entgeltliche Übertragung von Lebensrückversicherungsverträgen von einem inländischen Versicherungsunternehmen auf ein in der Schweiz gelegenes Versicherungsunternehmen umsatzsteuerlich zu beurteilen ist, hängt u.a. davon ab, ob es sich dabei um eine Lieferung (§ 3 Abs. 1 UStG) oder sonstige Leistung (§ 3 Abs. 9 UStG) handelt.
Sollte der EuGH wider Erwarten, aber in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des FA und des FG des Besprechungsfalls eine Lieferung annehmen, wäre diese im Inland erfolgt (§ 3 Abs. 7 UStG) und damit steuerbar. Es käme jedoch eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 28 UStG in Betracht. Dies würde eine Verwendung des gelieferten Gegenstands (hier: der Versicherungsverträge) für eine steuerfreie Tätigkeit erfordern.
Da im Besprechungsfall die Vertragspartner der Rückversicherungsverträge ausschließlich im übrigen Gemeinschaftsgebiet oder im Drittlandsgebiet ansässig sind, werden die Versicherungsleistungen des Rückversicherers dort erbracht (§ 3a Abs. 4 Nr. 6a i.V.m. § 3a Abs. 3 UStG). Sie sind deshalb nicht steuerbefreit, sondern nicht steuerbar. Deshalb wäre bei Annahme einer Lieferung zu klären, ob die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. c der 6. EG-RL, auf dem § 4 Nr. 28 UStG beruht, auch gilt, wenn die Tätigkeiten nicht steuerbefreit, sondern nicht steuerbar sind.
2. Stellt die Übertragung der Lebensrückversicherungsverträge auf ein in der Schweiz ansässiges Unternehmen eine sonstige Leistung dar, wäre diese nicht im Inland steuerbar, sondern gem. § 3a Abs. 3 S. 1 UStG in der Schweiz erbracht, wenn die Voraussetzungen des § 3a Abs. 4 Nr. 6 UStG erfüllt wären. Danach müsste es sich um eine sonstige Leistung der in § 4 Nr. 8 Buchst. a bis g oder Nr. 10 UStG bezeichneten Art handeln.
Nach § 4 Nr. 10 Buchst. a UStG sind die Leistungen aufgrund eines Versicherungsverhältnisses i.S.d. Versicherungssteuerge...