Leitsatz
1. Sind unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Art. 168 Buchst. a in Verbindung mit Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG dahin gehend auszulegen, dass einer geschäftsleitenden Holding, die steuerpflichtige Ausgangsumsätze an Tochtergesellschaften ausführt, das Recht auf Vorsteuerabzug auch für Leistungen, die sie von Dritten bezieht und gegen die Gewährung einer Beteiligung am allgemeinen Gewinn in die Tochtergesellschaften einlegt, zusteht, obwohl die bezogenen Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen der Holding, sondern mit den (weitgehend) steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen, die bezogenen Eingangsleistungen in den Preis der (an die Tochtergesellschaften erbrachten) steuerpflichtigen Umsätze keinen Eingang finden und nicht zu den allgemeinen Kostenelementen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Holding gehören?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Stellt es einen Rechtsmissbrauch im Sinne der Rechtsprechung des EuGH dar, wenn eine geschäftsleitende Holding derart in den Leistungsbezug von Tochtergesellschaften "zwischengeschaltet" wird, dass sie die Leistungen, für die den Tochtergesellschaften bei unmittelbarem Leistungsbezug kein Recht auf Vorsteuerabzug zustünde, selbst bezieht, in die Tochtergesellschaften gegen Beteiligung an deren Gewinn einlegt und anschließend unter Berufung auf ihre Stellung als geschäftsleitende Holding den vollen Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen geltend macht, oder kann diese Zwischenschaltung durch außersteuerrechtliche Gründe gerechtfertigt werden, obwohl der volle Vorsteuerabzug an sich systemwidrig ist und zu einem Wettbewerbsvorteil von Holding-Konstruktionen gegenüber einstufigen Unternehmen führen würde?
Normenkette
§ 15, § 2 UStG, Art. 9, Art. 167, Art. 168 Buchst. a EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 42 AO
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, war an zwei Gesellschaften (X und Y) beteiligt. Beide Gesellschaften errichteten Wohngebäude und veräußerten die errichteten Wohnungen überwiegend umsatzsteuerfrei.
Mit Ergänzungsvereinbarung zum Gesellschaftsvertrag der X wurde am 31.1.2013 vereinbart, dass der andere Gesellschafter der X ein Aufgeld in Höhe von 600.000 EUR als Gesellschafterbeitrag zu leisten und die Klägerin unentgeltliche Dienstleistungen (z.B. Architekten-, Statik-, Planungs-, Erschließungs- und Generalunternehmer-Leistungen) i.H.v. mindestens 9,4 Millionen EUR an X zu erbringen habe. Diese Leistungen erbrachte die Klägerin teilweise mit eigenem Personal und eigenen Geräten, teilweise mit Hilfe von Subunternehmern.
Am gleichen Tag vereinbarten die Klägerin und X, dass die Klägerin im Zusammenhang mit den Bauprojekten entgeltliche Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen an X erbringt. Ausdrücklich ausgenommen von den vereinbarten Geschäftsführungsleistungen waren jene Leistungen, die die Klägerin als Gesellschafterbeitrag zu leisten hatte.
Am 10.4.2013 wurde vereinbart, dass die andere Gesellschafterin der Y ein Aufgeld in Höhe von 3,5 Millionen EUR zu leisten und die Klägerin unentgeltliche Dienstleistungen (gleicher Art wie für die X) an Y zu erbringen habe (Bruttogesamtverkehrswert 30,29 Millionen EUR). Auch diese Leistungen erbrachte die Klägerin teilweise mit eigenem Personal und eigenen Geräten, teilweise mit Hilfe von Subunternehmen.
Ebenfalls am 10.4.2013 vereinbarten die Klägerin und Y, dass die Klägerin entgeltliche Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen (gleicher Art wie für die X KG) an Y erbringt.
Die Klägerin zog die Vorsteuer für Eingangsleistungen, die sie für die Gesellschafterbeiträge an X und Y verwendete, voll ab. Das Finanzamt versagte nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung insoweit den Vorsteuerabzug, als die unentgeltlichen Gesellschafterbeiträge der Klägerin an X und Y nichtsteuerbare Tätigkeiten seien, sodass die darauf entfallende Vorsteuer nicht abziehbar sei.
Die Vorinstanz (Niedersächsisches FG, Urteil vom 19.4.2018, 5 K 285/16, Haufe-Index 12993539, EFG 2019, 653) gab der Klage statt. Da die Klägerin aufgrund der Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen geschäftsleitende Holding von X und Y sei, sei die Erbringung von Sachleistungen als Gesellschafterbeitrag Teil der unternehmerischen Tätigkeit der aktiven Beteiligungsverwaltung. Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 AO) liege nicht vor, da außersteuerrechtliche Gründe für die gewählte Gestaltung vorlägen.
Entscheidung
Der BFH legte die in den Leitsätzen genannten Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
Hinweis
1. Das EuGH-Urteil vom 16.7.2015, C-108/14 und C-109/14, C-108/14, C-109/14, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt (BStBl II 17, 604) ist so verstanden worden, dass eine geschäftsleitende Holding keinen nichtunternehmerischen Bereich "Halten von Beteiligungen" hat. Welche Grenzen hat der Vorsteuerabzug einer geschäftsleitenden Holding dann überhaupt noch? Können z.B. Eingangsleistungen, für die die Tochtergesellschaft keinen Vorsteuerabzug h...