Leitsatz
1. Steht unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in dem eine Steuerpflichtige im Auftrag einer Stadt Baumaßnahmen an einer Gemeindestraße vornimmt, dieser Steuerpflichtigen, die Leistungen zur Errichtung der auf die Gemeinde übertragenen Straße von anderen Steuerpflichtigen bezogen hat, hierfür gemäß Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG der Vorsteuerabzug zu?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Liegt unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in dem eine Steuerpflichtige im Auftrag einer Stadt Baumaßnahmen an einer Gemeindestraße vornimmt, eine entgeltliche Lieferung von Gegenständen vor, bei der die Genehmigung des Betriebs eines Steinbruchs die Gegenleistung für die Lieferung einer Straße ist?
3. Falls die Frage 2 verneint wird: Ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in dem eine Steuerpflichtige im Auftrag einer Stadt Baumaßnahmen an einer Gemeindestraße vornimmt, die unentgeltliche Übertragung der öffentlich gewidmeten Straße an die Gemeinde gemäß Art. 5 Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG einer unentgeltlichen Lieferung von Gegenständen gleichgestellt, obwohl die Übertragung unternehmerischen Zwecken dient, um einen unversteuerten Endverbrauch der Gemeinde zu vermeiden?
Normenkette
Art. 17 Abs. 2 Buchst. a, Art. 5 Abs. 6 6. EG-RL (= EWGRL 388/77), § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3, § 15 Abs. 1 und 2 UStG, Art. 16, Art. 26 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 267 AEUV
Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ist Organträgerin der A-GmbH. Die A-GmbH erhielt die Genehmigung zum Neuaufschluss und Betrieb eines Steinbruchs nur unter der Auflage, dass sie eine im Eigentum der Stadt X stehende Gemeindestraße bis zum 31.12.2006 ausbaut. In einem Vertrag verpflichtete sich die Stadt X zur Planung und Ausführung des Ausbaus dieses Streckenabschnitts und die (Rechtsvorgängerin der) A-GmbH zur Tragung sämtlicher Kosten im Zusammenhang mit dem Ausbau des Streckenabschnitts. Der Vertrag sollte auch für alle Rechtsnachfolger gelten.
Im Jahr 2006 beauftragte die A-GmbH die B-GmbH, die ebenfalls eine Organgesellschaft der Klägerin ist, mit dem Ausbau des Streckenabschnitts der Gemeindestraße entsprechend der Vereinbarung mit der Stadt X. Im Jahr 2006 wurde die Baumaßnahme fertiggestellt und die Nutzung aufgenommen. Neben dem Schwerlastverkehr der A-GmbH erfolgt eine (geringe) Pkw-Nutzung.
Die Klägerin zog die in den Eingangsleistungen der B-GmbH enthaltenen Umsatzsteuerbeträge in der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2006 als Vorsteuer ab. Das FA nahm eine umsatzsteuerpflichtige unentgeltliche Lieferung gemäß § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG an die Stadt an.
Das FG (Hessisches FG, Urteil vom 15.12.2016, 1 K 2213/13, Haufe-Index 11550048, EFG 2018, 495) gab der Klage teilweise statt. Es besteuerte zwar keine unentgeltliche Wertabgabe, aber versagte den Vorsteuerabzug.
Entscheidung
Der BFH hat zur Prüfung, ob er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten kann, den EuGH um Vorabentscheidung ersucht.
Hinweis
1. Liefert ein Unternehmer an die öffentliche Hand einen Gegenstand, um eine Bedingung zu erfüllen, an die z.B. die Erteilung einer Genehmigung geknüpft ist, schien die Rechtslage nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH (BFH, Urteil vom 14.5.2008, XI R 60/07, BFH/NV 2008, 1633, BStBl II 2008, 721; BFH, Urteil vom 13.1.2011, V R 12/08, BFH/NV 2011, 721, BStBl II 2012, 61) an sich klar:
2. Diese gefestigt erscheinende deutsche Rechtsprechung ist allerdings durch zwei EuGH-Urteile (EuGH, Urteil vom 22.10.2015, C-126/14, Sveda UAB, Haufe-Index 8636783; EuGH, Urteil vom 14.9.2017, C-132/16, Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments EOOD,BFH/NV 2017, 1695) zweifelhaft geworden (vgl. z.B. Robisch, UR 2018, 940; Pull/Streit, MwStR 2018, 108).
3. Außerdem weicht die deutsche Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug von der österreichischen ab. Der Österreichische Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat in einem durchaus vergleichbaren Fall (VwGH, Erkenntnis vom 25.7.2013, 2011/15/0055, https://www.ris.bka.gv.at) den Vorsteuerabzug gewährt. Dass der Vorsteuerabzug zu gewähren ist, hält er nach der Rechtsprechung des EuGH für nicht mehr fraglich (VwGH, Erkenntnis vom 27.11.2017, 2017/15/0003, a.a.O.). Dort erfolgte die Aufhebung wegen unzureichender Prüfung eines entgeltlichen Ausgangsumsatzes. In dem vom BFH zitierten Erkenntnis (VwGH, Erkenntnis vom 16.12.2009, 2007/15/0176 a.a.O.) hat er zunächst die unentgeltliche Wertabgabe (Eigenverbrauch) nach altem nationalem Recht Österreichs abgelehnt, aber in einem vom BFH nicht zitierten Erkenntnis (VwGH, Erkenntnis vom 19.12.2013, 2009/15/0137 a.a.O.) nach neuem Recht bejaht.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 13.3.2019 – XI R 28/17