Leitsatz
§ 8b Abs. 5 KStG 1999 a.F./KStG 2002 a.F. verstößt gegen die gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheit der freien Wahl der Niederlassung nach Art. 43, 48 EG (Anschluss an EuGH-Urteile vom 18.9.2003, Rs. C-168/01"Bosal", BFH-PR 2003, 471 und vom 23.2.2006, Rs. C-471/04"Keller Holding", BFH-PR 2006, 194).
Normenkette
§ 8b Abs. 5 KStG 1999 a.F./KStG 2002 a.F., § 3c (Abs. 1) EStG 1997 n.F., Art. 13 Abs. 2 und 4, Art. 20 Abs. 2 DBA-Niederlande, Art. 4 Abs. 2 EWGRL 435/90, Art. 43, 48 EG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, war in den Streitjahren 2001 und 2002 alleinige Gesellschafterin einer Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts (BV).
In den Streitjahren seitens der BV an die Klägerin ausgeschüttete Gewinne wurden bei Letzterer nach Art. 20 Abs. 2 Sätze 1 und 3 i.V.m. Art. 13 Abs. 4 DBA Niederlande bei der Festsetzung der KSt aus der Bemessungsgrundlage ausgenommen. Allerdings rechnete das FA den Jahresergebnissen der Klägerin unter Hinweis auf § 8b Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 KStG in den für die Streitjahre maßgeblichen Fassungen des KStG 1999 bis zur Änderung durch das UntStFG vom 20.12.2001 (BStBl I 2002, 35) – KStG 1999 a.F. – und des KStG 2002 a.F. 5 % der ausgeschütteten Dividenden als nicht abziehbare Betriebsausgaben hinzu.
Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg (EFG 2005, 1725) ...
Entscheidung
... die anschließende Revision des FA hingegen nicht: Die Schachtelstrafe war in ihre seinerzeitigen Ausgestaltung europarechtswidrig.
Hinweis
1. Das Besprechungsurteil betrifft einmal mehr die sog. Schachtelstrafe gem. § 8b Abs. 5 KStG.
"Einmal mehr" deswegen, weil der BFH durch Urteil vom 9.8.2006, I R 95/05, BFH-PR 2007, 21 erst soeben entschieden hat, dass § 8b Abs. 5 KStG 2002 i.d.F. bis zur Änderung durch das Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum StVerAbG vom 22.12.2003 (BGBl I 2003, 2840, BStBl I 2004, 14) sowohl gegen die gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheit der freien Wahl der Niederlassung nach Art. 43 und 48 EG als auch gegen die Grundfreiheit des freien Kapitalverkehrs nach Art. 56 und 58 EG verstößt. Es handelt sich dabei um ein Folgeurteil zu den beiden EuGH-Urteilen vom 18.9.2003, Rs. C-168/01 „Bosal”, BFH-PR 2003, 471 und vom 23.2.2006, Rs. C-471/04 „Keller Holding”, BFH-PR 2006, 194. Dieses Urteil vom 9.8.2006 wurde Ihnen in BFH-PR 2007, 21 ausführlich vorgestellt.
2. Mit Urteil vom selben Tag hat der BFH nun auch die vorangehende Fassung des § 8b Abs. 5 KStG als europarechtswidrig angesehen und sie insoweit gegenüber einer EG-Auslandsbeteiligung nicht angewandt. Selbiges betrifft die Vor-Vorfassung des § 8b Abs. 7 KStG 1999 a.F.; das diesbezügliche Urteil vom 13.6.2006, I R 78/04 finden Sie ebenfalls in diesem Heft, nämlich auf Seite 104. Dass die Grundaussage so "zeitversetzt" an die Öffentlichkeit dringt, hängt damit zusammen, dass das Urteil I R 95/05 aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, dass den beiden anderen Entscheidungen jedoch Gerichtsbescheide vorangingen, welche erst jetzt in Urteilskraft erwuchsen.
3. Inhaltlich ist dem, was in BFH-PR 2007, 21 zu dem Urteil I R 95/05 gesagt wurde, nicht mehr viel hinzuzufügen: Die sog. Schachtelstrafe von 5 % betraf seinerzeit – bis zum VZ 2003 – nur Auslandsbeteiligungen, Inlandsbeteiligungen hingegen nicht. Dass sich das mit den gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverboten nicht verträgt, lag auf der Hand, nachdem der EuGH in seinen Urteilen vom 18.9.2003, Rs. C-168/01 "Bosal", BFH-PR 2003, 471 und vom 23.2.2006, Rs. C-471/04 „Keller Holding”, BFH-PR 2006, 194 die Schlechterstellung von Auslandsbeteiligungen, was den Beteiligungsaufwand anbelangt, entsprechend beanstandet hatte.
Der BFH hat sich dem denn auch für das pauschale Abzugsverbot fingierter Beteiligungsaufwendungen in § 8b Abs. 5 KStG 1999 a.F./2002 a.F. uneingeschränkt angeschlossen und keinen Grund (mehr) dafür gesehen, den EuGH nochmals um eine Entscheidung zu dieser Frage aufzufordern.
Er wiederholt dabei, dass die gemeinschaftsrechtliche "Vorgabe" jener 5%-Fiktion in § 8b Abs. 5 KStG 1999 a.F./2002 a.F., nämlich Art. 4 Abs. 2 der Mutter-/Tochter-RL, unmittelbar an dem EG-Vertrag zu messen ist. EG-Sekundärrecht, also die RL, muss den Anforderungen des EG-Primärrechts, des EG-Vertrags, standhalten. Dieser sei der letztverbindliche Maßstab. Der RL komme nicht per se die Vermutung oder sogar der Gewissheit der Gemeinschaftsrechtsverträglichkeit zu.
4. Unbeantwortet konnte abermals bleiben, ob § 3c Abs. 1 EStG als "Auffangvorschrift" erhalten bleibt oder sozusagen wiederauflebt, wenn die Pauschalregelung des § 8b Abs. 5 KStG 1999 a.F./2002 a.F. wegen der EG-Rechtswidrigkeit unanwendbar bleibt. Unbeantwortet bleiben konnte das deshalb, weil der Klägerin tatsächlich keine Kosten für die Beteiligung entstanden waren. Allerdings spricht viel dafür, dass § 8b Abs. 5 KStG infolge der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit lediglich partiell insoweit unanwendbar bleibt, als sie den Gebietsfremden gegenüber dem Gebietsansässigen bena...