Leitsatz
1. Wird der Umfang einer Fahndungsprüfung nachträglich auf zusätzliche Veranlagungszeiträume erweitert, so wird hierdurch der Ablauf der Festsetzungsfrist für diese Veranlagungszeiträume nur dann gehemmt, wenn der Steuerpflichtige die Erweiterung bis zum Ablauf der Frist erkennen konnte. Der Eintritt der Ablaufhemmung setzt jedoch nicht voraus, dass für den Steuerpflichtigen erkennbar war, auf welche Sachverhalte sich die zusätzlichen Ermittlungen erstrecken sollten.
2. Die durch eine Fahndungsprüfung ausgelöste Ablaufhemmung endet nur dann, wenn aufgrund der Prüfung Steuerbescheide ergangen und diese unanfechtbar geworden sind.
Normenkette
§ 169 AO , § 171 Abs. 4 und 5 AO
Sachverhalt
Im Jahr 1986 begann bei der Klägerin, einer GmbH, eine steuerliche Außenprüfung durch das FA I für den Prüfungszeitraum 1982 bis 1984. Im Rahmen dieser Prüfung wurde u.a. die Frage erörtert, ob die Anteilsübertragungen im Jahr 1982 zu marktüblichen Preisen erfolgt waren und ob die Klägerin ggf. Zuzahlungen an Firmen geleistet hatte, die den Veräußerern nahe standen. Nachdem im Juli 1986 eine Schlussbesprechung stattgefunden hatte, wurde im September 1986 ein Prüfungsbericht erstellt.
Eine Auswertung dieses Berichts unterblieb, da zwischenzeitlich das FA II ein Ermittlungsverfahren gegen die Anteilseigner aufgenommen und seine Prüfungshandlungen auch auf die Klägerin ausgedehnt hatte. In diesem Zusammenhang leitete die Steuerfahndung im Oktober 1986 ein Strafverfahren gegen die Geschäftsführer der Klägerin ein. Das Ermittlungsverfahren wurde später – im Jahr 1990 – erheblich und auch auf die Streitjahre 1986 und 1987 ausgeweitet. Es wurden außerdem Strafverfahren gegen die Klägerin wegen Hinterziehung eingeleitet. Das zuständige Landgericht lehnte im März 1996 jedoch die Eröffnung des Hauptverfahrens ab; dieser Beschluss wurde rechtskräftig.
Im Juli 1993 erstellte die Steuerfahndung einen Bericht über die bei der Prüfung getroffenen steuerlichen Feststellungen, den sie der Klägerin im März 1994 übersandte. Diese hob nach verschiedenen Fristverlängerungen im Dezember 1994 und im April 1995 Einwendungen gegen die Ausführungen im Bericht, woraufhin es zu weiteren Erörterungen kam. Im Jahr 1995 wurde im Anschluss an einen Befangenheitsantrag gegen den Prüfer die Überprüfung der Einwendungen einer anderen Steuerfahndung übertragen.
Diese Steuerfahndung erstellte unter Berücksichtigung der Einwendungen im September 1996 einen Bericht, der der Klägerin im Oktober 1996 übersandt wurde. Die Klägerin erhielt Gelegenheit, zu diesem Bericht Stellung zu nehmen; die Frist hierfür wurde später bis zum Januar 1997 verlängert. Kurz darauf erließ das FA Änderungsbescheide, in denen es die Prüfungsfeststellungen auswertete. Die Klägerin reklamierte bezogen auf 1986 und 1987 Festsetzungsverjährung.
Entscheidung
Der BFH konnte dem nichts abgewinnen. Seine tragenden Argumente finden Sie bereits in den Praxis-Hinweisen. "Umgesetzt" auf den Streitfall heißt das: Die klagende GmbH habe gewusst, dass die Steufa-Ermittlungen auf die Jahre 1986 und 1987 ausgedehnt worden seien. Folglich habe das FA die Bescheide in die Welt setzen dürfen, ohne einem wirksamen Verjährungseinwand ausgesetzt zu sein. Auch ein Verwirkungsgrund liege nicht vor.
Hinweis
1. Will man sich schlau darüber machen, ob und ggf. nach welchen Maßgaben der Steueranspruch verjährt, wenn Steufa-Maßnahmen eingeleitet worden sind, und schaut man zu diesem Zweck schlicht ins Gesetz, dann mag man zwar vielleicht erstaunt sein und an der Welt schier verzweifeln, dennoch ist die Rechtslage eigentlich ganz eindeutig: Nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO hat der Beginn von Ermittlungen der Steuerfahndungsbehörden zur Folge, dass die Festsetzungsfrist insoweit nicht abläuft, bis die aufgrund dieser Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind.
Aus dieser Formulierung des Gesetzes ergibt sich zum Ersten, dass die Ablaufhemmung nur die Umsetzung derjenigen Erkenntnisse ermöglicht, die sich im Zug der Ermittlungen ergeben haben. Zum Zweiten folgt aus der Anknüpfung an die "aufgrund dieser Ermittlungen" zu erlassenden Steuerbescheide, dass die Ablaufhemmung hinsichtlich aller Steueransprüche eintritt, auf die sich die Prüfung tatsächlich erstreckt hat. Und zum Dritten – und das ist vielleicht das eigentlich Frappierende –, dass die hiernach eingetretene Ablaufhemmung bis zum Erlass der Steuerbescheide aufgrund der Prüfung "ungebremst" andauert.
M.a.W.: Solange sich das FA nicht "bequemt", Bescheide zu erlassen, solange muss der Steuerpflichtige fortan noch mit "Üblem" rechnen; eine Verjährung tritt in diesem Zeitraum prinzipiell (und vorbehaltlich des meistens recht untauglichen Verwirkungseinwands) im Umfang der tatsächlich geprüften Erkenntnisse nicht ein; sie ist in Extremfällen gewissermaßen "ewig".
2. Dieser, nach dem Regelungswortlaut, wie bereits gesagt, eigentlich klare und eindeutige Befund hatte indes in jüngerer Zeit berufene Geister auf den Plan gerufen (so Söffing, DStZ 199...