Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
Zivilrechtliche Verzugs- oder Prozesszinsen sind bei steuerlicher Betrachtung Entgelte für die unfreiwillige Vorenthaltung von Kapital und damit Kapitalerträge i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
Fordert ein Schuldner den in Erfüllung einer vermeintlichen privaten Schuld geleisteten Geldbetrag erfolgreich zurück, so sind die vom Gläubiger neben der Rückzahlung geleisteten Verzugszinsen nicht der Besteuerung beim Empfänger zugrunde zu legen, wenn ihnen Zinsen in übersteigender Höhe gegenüberstehen, die durch die Refinanzierung der ursprünglichen Zahlung auf die vermeintliche Schuld veranlasst waren.
Normenkette
§ 20 Abs. 1 Nr. 7, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, § 22 Nr. 3 EStG, § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1, § 291, §§ 812ff. BGB
Sachverhalt
Der Kläger übernahm für fremde Schulden Bürgschaften auf erste Anforderung. Er wurde vom Inhaber der Bürgschaften in Anspruch genommen und nahm dafür Kredite auf, für die Schuldzinsen anfielen. Noch im Jahr der Inanspruchnahme erhob der Kläger Klage gegen den Inhaber der Bürgschaften, weil er seine Inanspruchnahme für unberechtigt hielt. Zehn Jahre später wurde der Inhaber der Bürgschaften rechtskräftig zur Rückzahlung eines Teils der Bürgschaftssumme an den Kläger nebst Verzugszinsen verurteilt.
Der Kläger hatte in den Vorjahren die zur Finanzierung seiner Bürgschaftszahlungen angefallenen Kreditzinsen nicht als vorab entstandene Werbungskosten geltend gemacht. Das FA rechnete ihm die später vereinnahmten Verzugs- und Prozesszinsen als Einnahmen aus Kapitalvermögen zu, ließ jedoch die zuvor angefallenen Kreditzinsen wegen fehlenden Zusammenhangs mit den vereinnahmten Verzugszinsen unberücksichtigt.
Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos (FG München, Urteil vom 24.10.2007, 9 K 3619/05, Haufe-Index 2154375, EFG 2009, 1101).
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und gab der Klage statt. Die vereinnahmten Zinsen seien zwar steuerbare Einnahmen aus Kapitalvermögen, ihnen seien aber übersteigende Kreditzinsen als Werbungskosten gegenüberzustellen.
Die Zahlungen des Klägers an den Inhaber der Bürgschaften hätten zwar zunächst der Erfüllung seiner Pflichten aus den Bürgschaftsübernahmen gedient. Infolgedessen seien die auf die Darlehen entfallenden Schuldzinsen anfänglich durch die Bürgschaftsinanspruchnahme veranlasst gewesen. Dieser ursprüngliche Veranlassungszusammenhang sei jedoch durch einen sodann neu begründeten anderen Veranlassungszusammenhang überlagert worden. Da der Kläger "auf erstes Anfordern" habe zahlen müssen, sei er hinsichtlich etwaiger Einwendungen auf eine Rückforderungsklage verwiesen gewesen. Nach dem rechtskräftigen Urteil, nach dem die Inanspruchnahme aus den Bürgschaften materiell-rechtlich nicht gerechtfertigt gewesen sei, hätten die vom Kläger aufgenommenen Darlehen nunmehr objektiv der Finanzierung eines Bereicherungsanspruchs des Klägers aus §§ 812ff. BGB gedient. Bei einer erzwungenen Kapitalüberlassung reiche es zur Begründung des erforderlichen wirtschaftlichen Zusammenhangs zwischen der Kreditaufnahme und späteren Zinseinnahmen aus, wenn das Darlehen zu dem Zweck aufgenommen und verwendet worden sei, um die (letztlich nicht gerechtfertigte) Forderung zu erfüllen.
Hinweis
1. Verzugszinsen und Prozesszinsen gehören zu den steuerbaren Kapitalerträgen, und zwar auch dann, wenn sie zwangsweise dadurch entstehen, dass dem Gläubiger das ihm zustehende Kapital gegen seinen Willen vorenthalten wird. Das ist seit langem gängige Rechtsprechung.
2. Da es um "Zwangseinnahmen" geht, ist die ansonsten gem. § 2 Abs. 1 EStG stets gebotene Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht obsolet. Wenn die zwangsweise vereinnahmten Zinsen tatsächlich zu einer Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit führen, sind sie steuerbar, auch wenn der Empfänger sie gar nicht vereinnahmen wollte. Seine subjektiven Vorstellungen und Absichten sind für diese Art von Einkünfteerzielung ohne Bedeutung.
3. Hängen mit den zwangsweise vereinnahmten Zinsen Ausgaben zusammen, wie etwa Kreditzinsen, so sind für die steuerrechtliche Beurteilung folgerichtig spiegelbildliche Maßstäbe zugrunde zu legen: Es kommt nicht darauf an, welche Vorstellungen der Steuerpflichtige mit den Kreditzinsen verbunden hat, ob er kalkuliert und einen Totalüberschuss erstrebt hat. Es ist allein objektiv zu prüfen, ob sich, wenn man die vereinnahmten Verzugs- oder Prozesszinsen und die damit zusammenhängenden Kreditzinsen gegenüberstellt, insgesamt ein Einnahmenüberschuss ergibt. Subjektiv wird insoweit nur das Bewusstsein vorausgesetzt, dass eine Zahlung geleistet werden muss und dass dafür Fremdmittel eingesetzt werden sollen. Es ist folglich nicht rückschauend zu prüfen, ob der Kläger subjektiv einen Zusammenhang zwischen den Schuldzinsen und möglicherweise künftig anfallenden (höheren oder niedrigeren) Zinseinnahmen hergestellt hat.
4. Da die Prüfung, ob ein Totalüberschuss erzielt wird, stets periodenübergreifend angelegt ist, ist es unerheblich, wenn die vereinnahmten Zinsen und die damit zusammenhängenden K...