OFD Karlsruhe, Verfügung vom 18.3.2022, S 0462 (§ 235 Karte 1)
1 Allgemeines
Die Zinspflicht ist unabhängig von der Durchführung eines Steuerstrafverfahrens im Rahmen des Besteuerungsverfahrens zu prüfen (vgl. AEAO zu § 235, Nr. 1.3). Ob im Einzelfall objektiver und subjektiver Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfüllt sind und die Tat i.S. des § 370 Abs. 4 AO vollendet ist (vollendete Steuerhinterziehung), sollte in Zweifelsfällen im Zusammenwirken mit der Straf- und Bußgeldsachenstelle geklärt werden.
Dies gilt auch für Fälle, in denen ein Strafverfahren wegen eines Verfahrenshindernisses (z.B. Strafverfolgungsverjährung oder Tod der Täterin / des Täters) nicht mehr durchgeführt werden kann.
2 Unterrichtung durch die Straf- und Bußgeldsachenstelle
Die Straf- und Bußgeldsachenstelle unterrichtet die für die Festsetzung der hinterzogenen Steuern zuständige Stelle über
- die Einleitung eines Strafverfahrens (Vordruck S 1 – 209/2),
- die Einstellung eines Strafverfahrens und die Gründe für die Einstellung (Vordruck S 1 – 214/4) und
- den rechtskräftigen Abschluss eines Strafverfahrens durch Strafbefehl oder Urteil (Vordruck S 1 – 236).
Mittels der oben genannten Vordrucke teilt die Straf- und Bußgeldsachenstelle der zuständigen Stelle die Berechnungsgrundlagen zur Festsetzung von Hinterziehungszinsen von für sie steuerstrafrechtlich relevanten Steuerarten und Zeiträumen mit.
Die Berechnungsgrundlagen zur Festsetzung von Hinterziehungszinsen auf verkürzte Steuervorauszahlungsbeträge und von für die Straf- und Bußgeldsachenstelle steuerstrafrechtlich nicht relevanten hinterzogenen Steuern (z.B. wegen strafrechtlicher Verjährung) sind von der Festsetzungsstelle in eigener Zuständigkeit zu ermitteln. Dabei ist für jede Rechtsverletzung (Taterfolg) gesondert zu prüfen, ob neben dem objektiven auch der subjektive Tatbestand (Vorsatz) gegeben ist.
2.1 Einleitung eines Steuerstrafverfahrens
Mit dem Vordruck S1-209 informiert die Straf- und Bußgeldsachenstelle die für die Festsetzung der Hinterziehungszinsen zuständige Stelle über die Einleitung eines Strafverfahrens wegen des Verdachts einer Steuerstraftat. Hierbei sind Angaben zum Gegenstand des Strafverfahrens zu machen (Steuerarten und strafrechtlich relevante Zeiträume).
Eine Verfahrenseinleitung erstreckt sich grundsätzlich auf den Vorgang in seiner Gesamtheit einschließlich aller damit zusammenhängender und darauf bezüglicher Vorkommnisse und tatsächlicher Umstände, die nach der Auffassung des Lebens eine natürliche Einheit bilden (Tat im prozessualen Sinn gem. § 264 StPO). Sie umfasst alle sich daraus ergebenden Rechtsverletzungen, unabhängig davon, ob diese in einem Einleitungsvermerk überhaupt, vollständig oder rechtlich zutreffend benannt sind. So umfasst die Einleitung eines Strafverfahrens „wegen Abgabe einer falschen Einkommensteuererklärung 01” die Verkürzung der Einkommensteuer 01, des Solidaritätszuschlages 01 und bei Vorliegen der Voraussetzungen der Vorauszahlungen für Folgejahre.
2.1.1 Verfahren bei Selbstanzeigen
Gemäß der seit dem 1.1.2015 geltenden Fassung des § 371 Abs. 3 AO kann Straffreiheit durch Erstattung einer Selbstanzeige nur noch erlangt werden, wenn die / der Steuerpflichtige die zu ihren / seinen Gunsten hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und die Zinsen nach § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Absatz 4 AO angerechnet werden, innerhalb der ihr / ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet.
In Selbstanzeigefällen ist daher bereits unverzüglich nach Eintritt der Fälligkeit der verkürzten Steuern eine Festsetzung der Hinterziehungszinsen vorzunehmen. Die Festsetzung der Hinterziehungszinsen kann im Einzelfall auch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erfolgen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 und § 239 Abs. 1 S. 1 AO i.V. mit § 164 AO).
2.1.2 Festsetzung von Hinterziehungszinsen für strafrechtlich verfolgte Steuerhinterziehungen
Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen hängt nicht vom Ausgang eines Steuerstrafverfahrens ab (vgl. AEAO zu § 235, Nr. 1.3). Zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen kann es bezüglich der Festsetzung von Hinterziehungszinsen für strafrechtlich eingeleitete Steuerhinterziehungen aber zweckmäßig sein, den rechtskräftigen Abschluss des eingeleiteten Strafverfahrens abzuwarten. Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen wird nicht dadurch verwirkt, dass das Finanzamt das Ergebnis eines Steuerstrafverfahrens abwartet oder dass die / der Steuerpflichtige nicht vom Finanzamt auf die Zinspflicht aufmerksam gemacht wird (BFH-Urteil vom 22.5.1984, VIII R 60/79, BStBl 1984 II S. 697).
2.1.3 Festsetzung von Hinterziehungszinsen für strafrechtlich nicht verfolgte Steuerhinterziehungen
Nachdem für strafrechtlich nicht eingeleitete Steuerhinterziehungen die Festsetzungsfrist bereits mit Ablauf des Kalenderjahrs beginnt, in dem die Festsetzung der hinterzogenen Steuern unanfechtbar geworden ist (vgl. AO-Kartei BW, § 239, Karte 1) sind die Hinterziehungszinsen stets nach Eintritt der Fälligkeit ...