Leitsatz
Für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen hat das FG in Bezug auf die Steuerhinterziehung aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, ob diejenigen Tatsachen vorliegen, die den Tatbestand des § 370 AO ausfüllen. Eine Entscheidung nach den Regeln der Feststellungslast zu Lasten des Steuerpflichtigen ist nicht zulässig.
Normenkette
§ 370 AO, § 90 Abs. 2, § 159 Abs. 1, § 235 Abs. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1 FGO
Sachverhalt
Die Klin. überwies in den 1990er Jahren Vermögen in der Schweiz auf ein ebenfalls Schweizer Konto ihrer Stieftochter (T), die ihr eine Vollmacht für dieses Konto erteilte. Im Jahr 2001 wurde das Konto der T geschlossen und das Guthaben auf ein anderes Schweizer Konto wiederum der Klin. übertragen. Nach Kenntniserlangung erließ das FA gegenüber der Klin. Schenkungsteuerbescheide.
Für die Transaktion in 2001 setzte das FA zudem gegenüber der Klin. Hinterziehungszinsen fest. Die hiergegen gerichtete Klage, welche die Klin. unter anderem mit dem Vorliegen eines Treuhandverhältnisses zu Gunsten der T begründete, wies die Vorinstanz (FG Nürnberg, Urteil vom 15.5.2014, 4 K 1403/12, Haufe-Index 7225130) ab. Das FG begründete seine Entscheidung mit der Erkenntnis, es habe sich bei der Übertragung im Jahr 2001 um eine Schenkung an die Klin. gehandelt. Denn das Guthaben sei bei der ersten Übertragung in die Verfügungsbefugnis der T gefallen. Hieran habe die erteilte Vollmacht nichts ändern können: Ein der Verfügungsbefugnis der T entgegenstehendes Treuhandverhältnis habe die Klin. nicht nachweisen können. Nach den Grundsätzen der Feststellungslastverteilung gereiche dies ihr zum Nachteil.
Im Revisionsverfahren trägt die Klin. vor, das FG habe die Entscheidung über das Vorliegen einer Steuerhinterziehung zu Unrecht nach Beweislastregeln getroffen. Vielmehr müssten die Tatbestandsvoraussetzungen einer Steuerhinterziehung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Zudem habe das FG zu strenge Anforderungen an den Nachweis eines Treuhandverhältnisses gestellt.
Entscheidung
Der BFH hat das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Voraussetzung für das Entstehen eines Zinsanspruches (§ 235 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO) sei vorliegend eine vollendete Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO. Seien die tatbestandlichen Voraussetzungen materiellen Strafrechts bei der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften festzustellen, gälten verfahrensrechtlich gleichwohl die Vorschriften der AO (FGO).
Auch im Besteuerungsverfahren sei zwar der strafverfahrensrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" zu beachten. Dieser Grundsatz folge jedoch nicht aus der Anwendung von Strafverfahrensrecht. Vielmehr lasse er sich daraus ableiten, dass die Finanzbehörde die Feststellungslast für steueranspruchsbegründende Tatsachen trage.
Zudem habe das FG gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO aufgrund seiner freien Überzeugung zu entscheiden, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen vorlägen. Eine Entscheidung nach den Regeln der Feststellungslast zu Lasten des Steuerpflichtigen sei hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen einer Steuerhinterziehung nicht zulässig. Vielmehr müsse das FG von dem Vorliegen der Tatsachen, die den objektiven und den subjektiven Tatbestand des § 370 AO bilden, vollständig überzeugt sein.
Das FG habe deshalb zu Unrecht entschieden, dass die Nichterweislichkeit des von der Klin. behaupteten Treuhandverhältnisses zu ihren Lasten gehe, da sie – die Klin. – für das Vorliegen eines Treuhandverhältnisses die Feststellungslast trage. Bei der Steuerhinterziehung gehöre das Nichtvorliegen eines Treuhandverhältnisses zu den Tatsachen, für welche das FA die Feststellungslast trage. Dies gelte nur dann nicht, wenn es sich um eine bloße Behauptung des Stpfl. handele, für deren Richtigkeit keine Anhaltspunkte ersichtlich seien. Werde jedoch die Entscheidung über das Vorliegen einer Steuerhinterziehung darauf gestützt, dass der Zuwendende den Zuwendungsgegenstand nicht lediglich als Treuhänder gehalten habe, müsse später auch das FG vom Nichtvorliegen eines Treuhandverhältnisses überzeugt sein. Allerdings dürfe bei der Prüfung, ob ein Treuhandverhältnis tatsächlich vorliege, ein strenger Maßstab angelegt werden.
Die Regelung in § 159 Abs. 1 AO über die Nachweispflicht des Treuhänders ändere nichts an diesem Ergebnis.
Die Sache ist – so der BFH – nicht spruchreif, da der Senat mangels Tatsachenfeststellungen, die für oder gegen das Vorliegen eines Treuhandverhältnisses sprechen, keine eigene Würdigung über das Treuhandverhältnis vornehmen könne.
Hinweis
1. Für eine Entscheidung nach der Feststellungslast ist erst dann Raum, wenn nach Ausschöpfung der dem FG zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten der Sachverhalt unaufgeklärt bleibt und zudem keinem der Beteiligten eine Verletzung seiner Mitwirkungspflicht vor...