Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
1. Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Feststellungserklärung ist kein Antrag i.S.v. § 171 Abs. 3, § 181 Abs. 1 AO. Auch in der Kombination von Erklärungseinreichung und damit im Zusammenhang stehender Antragstellung (auf Durchführung einer Festsetzung oder Feststellung) kann kein Antrag i.S.d. § 171 Abs. 3 AO gesehen werden.
2. Ob und mit welcher Reichweite ein Antrag vorliegt, hat das FG im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände als Tatsacheninstanz zu ermitteln.
3. Ein verbleibender Verlustabzug kann nach Ablauf der Feststellungsfrist noch gesondert festgestellt werden, wenn das vorhandene Verlustpotenzial auch nach Berücksichtigung des sog. Soll-Verlustabzugs im bereits festsetzungsverjährten Veranlagungszeitraum nicht verbraucht und damit von Bedeutung i.S.v. § 181 Abs. 5 AO ist.
Normenkette
169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 171 Abs. 3, § 181 Abs. 1, § 181 Abs. 5 Sätze 1 und 3 AO, § 133 BGB, § 10d Abs. 2 EStG
Sachverhalt
Der Sachverhalt ist uns schon aus den Eingangsbemerkungen der Praxis-Hinweise bekannt. Der vorzutragende Verlust aus den Streitjahren betrug insgesamt 127.208 DM. Was geschah in den Folgejahren? K erzielte Einkünfte und gab jeweils Steuererklärungen ab. Die Jahre 1998 bis 2000 waren bereits festsetzungsverjährt. In diesen Jahren betrug das Verlustabzugspotenzial (also die Summe der Gesamtbeträge der Einkünfte) insgesamt 125.623 DM. 2001 war noch nicht festsetzungsverjährt.
Das FA lehnte es ab, den Verlustvortrag gesondert festzustellen. Das FG gab der Klage indessen statt (FG Köln, Urteil vom 11.6.2010, 15 K 914/08, Haufe-Index 2365518, EFG 2010, 1999).
Entscheidung
Der BFH folgte dem FG im Ergebnis. Das Verlustpotenzial war noch nicht vollständig verbraucht. Damit ist die Verlustfeststellung noch für eine Veranlagung – nämlich die für 2001 – von Bedeutung, und zwar i.H.v. 1.585 DM.
Hinweis
K ist seit 1998 als Verkehrsflugzeugführer tätig und wurde in den Jahren 1995 bis 1997 (Streitjahre) dazu ausgebildet. Den Erwerbsaufwendungen dieser Jahre standen keine Einnahmen gegenüber. Deshalb hat K zunächst keine Steuererklärungen abgegeben. Erst am 20.12.2005 reichte K erstmals Erklärungen zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs jeweils zum 31.12. der Jahre 1995 bis 1997 nach. Die Fragen, die sich hier stellen, betreffen die Feststellungsverjährung. Waren die Erklärungen verspätet?
1. Die Erklärungen waren verspätet: Da K für die Streitjahre zunächst keine Steuererklärungen abgegeben hatte, endeten die Feststellungsfristen nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 AO für das Streitjahr 1995 mit Ablauf des 31.12.2002, für das Streitjahr 1996 mit Ablauf des 31.12.2003 und für das Streitjahr 1997 mit Ablauf des 31.12.2004. Damit war für die Streitjahre Feststellungsverjährung eingetreten.
2. Eine Ablaufhemmung der Feststellungsfristen kam nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des § 171 Abs. 3, § 181 Abs. 1 AO nicht vorlagen. Auch ein Antrag auf Steuerfestsetzung außerhalb eines Einspruchs- oder Klagverfahrens führt zu einer Ablaufhemmung, wenn er vor Ablauf der Feststellungsfrist gestellt wird. Hier scheitert die Ablaufhemmung an verschiedenen Hürden: Die gesetzlich geschuldete Feststellungserklärung ist kein Antrag i.S.d. § 171 Abs. 3 AO; denn hier kommt K lediglich seiner Verpflichtung aus § 149 AO nach. Zudem waren hier die Feststellungsfristen für 1995 bis 1997 bereits abgelaufen, als K die Verluste Ende 2005 erklärte.
3. Allerdings eröffnet § 181 Abs. 5 AO die Möglichkeit, die Verluste auch nach Ablauf der Feststellungsfrist festzustellen, wenn – das ist die wichtigste Voraussetzung dieser Norm – diese Feststellung für noch nicht verjährte Folgejahre von Bedeutung ist. "Bedeutung" ist sowohl materiell-rechtlich wie auch verfahrensrechtlich zu verstehen. So bestimmt § 10d Abs. 2 EStG, in welcher Weise der Verlust vorzutragen ist. Steht in Folgejahren genügend Verlustabzugspotenzial in Gestalt von positiven Gesamtbeträgen der Einkünfte zur Verfügung, so wird der Verlust verbraucht, auch wenn die entsprechenden Jahre bereits bestandskräftig veranlagt worden sind und Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Hat also unser K vorzutragende Verluste in den Streitjahren von 50.000, beträgt sein Gesamtbetrag der Einkünfte im Folgejahr aber 100.000, so hat sich der Verlust verbraucht, gleichviel, ob er im Folgejahr tatsächlich abgezogen wurde. Die Veranlagung kann auch nicht mehr geändert werden, wenn für das Folgejahr bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.5.2013 – IX R 5/11