rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerfreiheit gewerblicher Kinder- und Jugendbetreuung für Jugendämter anderer Mitgliedsstaaten vor der Neuregelung des § 4 Nr. 25a. Verstoß des § 4 Nr. 25 UStG a. F. gegen die Mehrwertsteuerrichtlinie. unmittelbare Anwendung von Steuerbefreiungsvorschriften der Richtlinie 77/388/EWG
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Umsätze aus der gewerblichen Betreuung und Unterstützung psychisch gestörter Jungendlicher, die für Jugendämter anderer Mitgliedstaaten erbracht werden, sind bis zum Inkrafttreten der Neuregelung des § 4 Nr. 25 UStG n. F. am 1.1.2008 in unmittelbarer Anwendung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL) umsatzsteuerfrei.
2. Die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL) setzt nicht voraus, dass die leistende Einrichtung ihre Dienstleistungen gegenüber Sozialversicherungsträgern des Mitgliedstaates erbringt, in dem die Umsätze besteuert werden.
3. Einem Kinder- und Jugendbetreuer kann aus dem Umstand der Kostenübernahme durch den Sozialversicherungsträger oder das Jugendamt eines anderen Mitgliedstaates die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter vermittelt werden.
4. Hat ein Mitgliedstaat es unterlassen, die erforderlichen Maßnahme zur Umsetzung der Mehrwertsteuerrichtlinie zu treffen, kann er sich nicht auf sein eigenes Unterlassen berufen, um einem Steuerpflichtigen eine Steuerbefreiung zu verwehren, die dieser unter unmittelbarer Anwendung der Richtlinie 77/388/EWG in Anspruch nehmen kann.
Normenkette
UStG 2005 § 4 Nr. 25a; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1h; MwStSystRL Art. 132 Abs. 1; SGB VIII § 2 Abs. 2 Nr. 5, § 35 Abs. 1, 2 Nr. 3, § 35a Abs. 2 Nr. 3
Tenor
1. Die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 5. Dezember 2008 wird aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 15. Februar 2008 verpflichtet, die Umsatzsteuer für das Jahr 2003 unter Änderung der Steueranmeldung vom 8. Juni 2005 um 1.558,62 EUR auf 304,46 EUR und die Umsatzsteuer für das Jahr 2004 unter Änderung der Steueranmeldung vom 18. Juli 2006 um 1.986,21 EUR auf 206,74 EUR herabzusetzen. Die Umsatzsteuer 2005 wird unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids vom 28. Februar 2008 um 1.986,21 EUR auf 845,98 EUR herabgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Umsätze des Klägers aus der Betreuung und Unterstützung psychisch gestörter Jugendlicher umsatzsteuerpflichtig oder nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Richtlinie 77/388/EWG; jetzt: Art. 132 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie – MwStSystRL –) von der Umsatzsteuer befreit sind.
Der Kläger hatte zunächst von 1987 bis 1989 seinen zwanzig Monate dauernden zivilen Ersatzdienst in einer heilpädagogischen stationären Wohngruppe abgeleistet. Später war er von Januar 1991 bis September 1994 als Erzieher in berufsbegleitender Ausbildung an der Katholischen Fachschule für Sozialwesen in X ebenfalls in mehreren heil- und intensiv-pädagogischen stationären Wohngruppen tätig. Während dieser Zeit nahm er über etwa zweieinhalb Ausbildungsjahre hinweg am Unterricht der Ausbildung zum Jugend- und Heimerzieher in dualer, praxisintegrierter Form teil, ohne diese Ausbildung jedoch abzuschließen. Danach war der Kläger von Oktober 1994 bis September 2006 als pädagogischer Mitarbeiter in einer sozialpädagogischen Wohngemeinschaft für Jugendliche und junge Erwachsene – einem häuslichen Wohnprojekt in gemeindeintegrierter Form, das eine private, staatlich anerkannte Einrichtung der Jugendhilfe darstellte – tätig. Im September 2006 wurde dem Kläger zudem vom Regierungspräsidium Stuttgart die fachliche Eignung zum Ausbilder im Ausbildungsberuf „Mediengestalter Bild und Ton” zuerkannt. Seit dem 1. März 2008 ist der Kläger mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von sieben Stunden bei einem … er Unternehmen als Familienhelfer und Jugend- und Heimerzieher angestellt. Außerdem arbeitet er – so bereits in den Streitjahren (2003 bis 2005) – als selbständiger Tonmeister.
Seit dem 15. Februar 2003 (des ersten Streitjahrs) und auch in den beiden weiteren Streitjahren 2004 und 2005 war der Kläger zudem als freier Mitarbeiter für den in Luxemburg ansässigen „… familiar …” tätig, der in Luxemburg die Aufgaben des Jugendamts wahrnimmt. In dessen Auftrag betätigte der Kläger sich als Betreuer des in X wohnenden Jugendlichen B. Herr B ist ein luxemburgischer Staatsbürger, der an einer Persönlichkei...