Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen einer selbständig tätigen Heil- und Motopädagogin
Leitsatz (redaktionell)
Eine Heil- und Motopädagogin, die in einem Praxisteam nach ärztlicher Zuweisung und unter ärztlicher Verantwortung mit Patienten selbständig arbeitet und deren Leistungen Regelleistungen im Sinne des Sozialgesetzbuches V (SGB V) sind, übt auch dann eine „ähnliche heilberufliche Tätigkeit” im Sinne von § 4 Nr. 14 UStG aus, wenn sie selbst keine Ärztin ist, die Berufsgruppe der Heilpädagogen nicht über eine regelmäßige Zulassung nach § 124 Abs. 2 SGB V durch die zuständigen Stellen der gesetzlichen Krankenversicherung verfügt und die Abrechnungen von der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung nicht unmittelbar gegenüber der Heilpädagogin, sondern über die Vertragsärztin des Praxisteams durchgeführt werden.
Normenkette
UStG 1993 § 4 Nr. 14 S. 1, § 2 Abs. 1; SGB V § 11 Abs. 1 Nr. 4, § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, §§ 43a, 82 Abs. 2, § 85 Abs. 2 S. 4, § 124 Abs. 2, § 32 Abs. 2; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tenor
Der Umsatzsteuerbescheid 1993 vom 16. November 1999 und die Einspruchsentscheidung des Finanzamts … vom 12. Dezember 2000 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der der Klägerin zu erstattenden Kosten abwenden, es sei denn diese hätte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit geleistet.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Leistungen einer Heil- und Motopädagogin, die im Rahmen einer ärztlichen Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und Kinderheilkunde erbracht werden, gemäß § 4 Nr. 14 UStG 1993 steuerfrei sind.
Die Klägerin, die ihren im Streitjahr ausgeübten Beruf als Heil- und Motopädagogin angibt und seit 1. Januar 1993 (vertraglich fixiert am 1. Juli 1993, FG-Akten Bl. 71) als freie Mitarbeiterin dem Praxisteam der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und Kinderheilkunde, Dr. W. M., angehörte, hatte folgenden beruflichen Werdegang:
Abitur
Ausbildung zur Krankenschwester bei der evangelischen Diakonie S. H.
Berufsbegleitende Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin
1986 Staatlich anerkannter Abschluss als Heilerziehungspflegerin …
1992 Staatlich anerkannter Abschluss als Heilpädagogin …
1994 Zusatzqualifikation Motopädagogik (Private Akademie für Motopädagogik und Mototherapie, …)
1998 Zusatzqualifikation Sensorisch-Integrative Pädagogik …
In der Praxis Dr. W. war die Klägerin von Anfang an (vergl. im Einspruchsverfahren vorgelegte Bescheinigung von Frau Dr. W. vom 9.12.1998) unter deren fachärztlicher Anleitung im diagnostischen Bereich für die Anwendung, Durchführung und Auswertung standardisierter Testverfahren für die Bereiche Motorik, Entwicklung, Sprache und Intelligenz zuständig. Im therapeutischen Bereich oblagen ihr die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit heilpädagogischen motopädagogischen und kindertherapeutischen Verfahren in Einzelsitzungen sowie Kleingruppen und die Durchführung der begleitenden Elterngespräche. Wegen des Tätigkeitsfelds im einzelnen und des Ablaufs der Behandlung wird auf die schriftlichen Erläuterungen der Klägerin vom 25. November 2003 (FG-Akten Bl. 65–67) und die Einlassung in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Krankenversicherungsrechtlich waren die von der Klägerin erbrachten Leistungen Bestandteil des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für die Abrechnung der Vertragsärzte (EBM Kapitel E II. physikalisch-medizinische Leistungen, Nn. 511, 512 und Kapitel I. Kinderheilkunde Nn. 960, 961), die nach Nachweis einer entsprechenden Weiterbildung des Arztes bzw. bei Vorliegen einer besonderen Zusatzqualifikation des nichtärztlichen Mitarbeiters abgerechnet wurden (Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung Nordbaden –KV-NB– vom 19. Nov. 03 an die Klägerin, FG-Akten Bl. 68).
Die Abrechnung der von der Klägerin im Praxisteam erbrachten Leistungen erfolgte in der Weise, dass die Klägerin die ihren Leistungen zugrundeliegenden EBM-Abrechnungsziffern auf den Behandlungsprotokollen vermerkte. Diese wurden quartalsweise von der Praxissekretärin zusammengestellt und im Namen von Frau Dr. W. gegenüber der KV-NB abgerechnet. Die KV-NB ihrerseits hatte nach den mit den Sozialversicherungsträgern gemäß § 83 Abs. 1 Sozialgesetzbuch V –SGB V– abgeschlossenen Gesamtverträgen Anspruch auf Berücksichtigung dieser Leistungen bei der Festlegung der Gesamtvergütung gemäß § 85 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit § 85 Abs. 2 Satz 4 SGB V. Denn gemäß § 43 a SGB V gehörten die nichtärztlichen sozialpädiatrischen Leistungen, insbesondere die psychologischen, heilpädagogischen und psychosozialen Leistungen, die unter ärztlicher Verantwortung erbracht wer...